Namen gibt es viele in diesem Roman: Da ist die junge Protagonistin Darling, die mit ihren Freunden Bastard, Chipo und Godknows durch die Straßen ihres Ortes zieht. Der Ort trägt den Namen Paradise. Paradise ist eine Blechhüttensiedlung.
Um sich die Zeit zu vertreiben, erfinden Darling und ihre Freunde Spiele, zum Beispiel das Landspiel: „Aber vorher müssen wir uns um die Namen streiten, weil alle bestimmte Länder sein wollen, also alle wollen USA sein und England und Kanada… Keiner will so ein lumpiges Land sein wie Kongo, Somalia oder Irak, wie Sudan, Haiti oder Sri Lanka oder auch das, in dem wir leben.“
Als die USA eine Belohnung auf die Ergreifung von bin Laden aussetzen, erfinden sie ein neues Spiel: die bin-Laden-Suche. Sie basteln sich Speere aus Ästen, trommeln gegen die Blechhütten und durchforsten die Gegend:
„Vielleicht sollten wir Jesus suchen, der ist wichtiger als bin Laden, sagte Godknows. Jesus ist noch schlimmer, Jesus findet keiner, nicht mal die Amerikaner, sagte Bastard.“
In ihren Spielen imitieren sie die Erwachsenen, so auch im Schlüsselkapitel, das den Titel des Romans trägt. Die kleine Chipo ist schwanger. Sie wurde vergewaltigt. Die Freunde beschließen: „Heute werden wir ein für alle Mal Chipos Bauch los“, und zwar mit Steinen, einem rostigen Kleiderbügel, einem Ledergürtel und einem „lila Dingsbums“. Wie eine Operation funktioniert, das wissen sie aus Emergency Room: „Ich bin Dr. Bullet, die ist schön, und du bist Dr. Roz, der ist groß…“
So sieht ein Kinderleben in Simbabwe aus – ein Land, das im gesamten Roman kein einziges Mal mit (offiziellem) Namen genannt wird. Simbabwe ist nur das „kaka Land“. Für Darling steht daher fest, dass sie eines Tages zu Tante und Onkel „nach Amerika“ geht. Genauer gesagt, nach „DestroyedMichygen“.
Doch vorher muss sie noch einiges ertragen, wie etwa die NGO-Leute, die von Darling und ihren Freunden („knips knips knips“) Fotos machen: „Es schert sie nicht, dass der Dreck und die zerfetzten Kleider uns peinlich sind, dass es uns lieber wäre, wenn sie das lassen…“. Doch sie ertragen die Demütigung, denn erst nach den Fotos gibt es die „Geschenke“. Später, in den USA, macht Darling selbst viele Fotos („knipsen knipsen knipsen“) für die Verwandten zu Hause. Und die Verwandten fragen, wann Darling sie denn besuchen komme oder wann sie ihnen Geld schicke. Sie wissen nicht, dass Darling inzwischen eine Illegale ist. Ihre Papiere sind abgelaufen.
Und spätestens hier schlägt die naive Erzählperspektive in eine zornige Anklage um. Es geht nicht mehr um ein Einzelschicksal, sondern um das große Wir der Generationen von Migranten, die ihre Heimat verlieren und keine neue hinzugewinnen.
Allein durch ihre bloße Anwesenheit verstoßen sie gegen ein Gesetz: „Wir senkten den Kopf, weil wir keine Menschen mehr waren… Und weil wir illegal waren und Angst hatten, erwischt zu werden, blieben wir meistens unter uns… Wir verbargen unsere richtigen Namen und nannten auf Anfrage falsche… Und als sie uns bei der Arbeit nach unseren Papieren fragten, huschten wir wie aufgeschreckte Hühner davon.“
NoViolet Bulawayo spielt ohne Frage in der Liga von Zadie Smith. Ihr Schreibstil ist leichtfüßig und unangestrengt, ihre Botschaft gleichzeitig unmissverständlich. Der Roman endet übrigens mit einem Hund. Einem toten Hund. Er hat nicht mehr auf seinen Namen gehört.
Wir brauchen neue Namen steht auf der Shortlist für den Internationalen Literaturpreis 2015.
Oh, das klingt nach einer bitteren Lektüre. Bitter und gut erzählt.
Klingt heftig, was Du über das Buch schreibst und macht unbedingt neugierig. Danke dafür!
will ich haben, will ich lesen!
Ganz unbedingt lesenswert… Und ich danke Dir auch für Deinen anderen sehr lieben Kommentar!