Es atmet wie ein „lebendiges Wesen“, das Maianga-Gebäude im Herzen Luandas, mit seinen verwinkelten Gängen, den „ins Nirgendwo führenden Türen“ und dem riesigen Loch im Erdgeschoss. Während die Hitze die angolanische Hauptstadt durchdringt, sprudelt es im ersten Stock des Hauses. Das ewige Wasser geborstener Rohre flutet das düstere Stockwerk – „ein Fluss ist das […], nur Fische fehlen noch und Krokodile“, sagt Bewohnerin OmaKunjikise, „und dann heißt es, Jesus sei über das Wasser gelaufen!, einen Scheiß ist er“, sagt der Minister.
Wasser im Überfluss.
Im Rest der Stadt ist das Wasser indes knapp. „Versorgungsengpässe“ nennt man es. Und so verkaufen die Bewohner ihr Wasser weiter. Neben OmaKunjikise sind da MariaComForça aus dem zweiten Stock und der StummeGenosse aus dem fünften Stock, ein „großer Grillmeister“, stets mit einem scharfen Messer in der linken Hand. Er liefert mit seiner Jazz-Plattensammlung gleichzeitig den Soundtrack des Hauses.
Plötzlich tauchen in der Stadt überall Schilder auf. Sie stammen von KIPEL, der „Kommission für die Industrialisierung Potenzieller Erdölvorkommen in Luanda“ – oder wie sie ein Graffito nennt: „Korrupte Idioten Plakatieren Euer Luanda“. Es werden nun Löcher gebohrt in Luanda, dabei hat die Stadt keinen festen Untergrund. Der angolanische Präsident hebt in irrwitzigen Fernsehansprachen das Potenzial der Bohrungen hervor – und sagt ganz nebenbei die bevorstehende Sonnenfinsternis ab.
Eine Hand wäscht die andere – globales Erfolgsrezept auch in Angola: DomCristalino etwa lässt seine Verbindungen spielen und hat „bereits ganze Berghänge mit ergiebigen, hochwertigen Quellen privatisiert“. DomCristalino, so lässt er sich gerne nennen. In Wahrheit heißt er Ribeiro Secco.
Auch die regelmäßig aus dem Nichts auftauchenden Beamten DiesMal und AnderMal – wie einer Kafka-Erzählung entsprungen – tragen sprechende Namen. Ihr Geschäftsmodell ist die Aufdeckung von „Unregelmäßigkeiten“ und deren unbürokratische Legalisierung, natürlich nicht ohne Gegenleistung. Da sind als Dankeschön nicht nur Häppchen und Champagner gern gesehen.
Die tragischste und zugleich zornigste Figur des Romans ist Odonato. Seitdem er das Essen eingestellt hat, wird sein Körper immer transparenter. Die Krankheit, an der er leidet, diagnostiziert er als „nationales Unwohlsein“. Man müsse, sagt er, „die Wahrheit sichtbar machen, auch wenn man dafür unsichtbar werden muss“:
„man ist nicht durchsichtig, weil man nicht isst… man ist durchsichtig, weil man arm ist.“
„ich bin ein Teil des Volkes! des angolanischen Volkes. das Volk… haben Sie das Wort schon einmal gehört? es ist ein Wort voller Menschen!“
Und während ein Leichnam immer schwer wird, sodass er aus dem sechsten Stock des Gebäudes einfach durchbricht – durch den Tisch, die Decke des sechsten Stockes, und immer weiter hinunter durch die einzelnen Stockwerke bis ins Erdgeschoss -, da wird Odonato auf einmal so leicht, dass er an der Zimmerdecke schwebt und seine Frau ihn an einem Schnürsenkel festbinden muss. Magischer Realismus at its best.
Der Roman schließt mit einem spektakulären, filmreifen Showdown, der uns zum Beginn des Buches zurückführt. Ondjaki legt mit Die Durchsichtigen einen sprachgewaltigen und zugleich temporeichen Roman vor. Hier stimmt alles: Schreibstil auf höchstem Niveau, präzise Komposition, authentische Figuren – und nicht zuletzt eine unmissverständliche gesellschaftspolitische Positionierung. Große Kunst.
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Wow – eine sprachgewaltige Rezension. Das macht mich neugierig.
Ich kann mich den Worten meiner Vorposterin nur anschließen. Das Buch habe ich mir mal vorgemerkt, so für den nächsten oder übernächsten Bummel in meiner liebsten Buchhandlung. Weißt du liebe Andrea, deine Besprechung ist so lebendig, sie gehört in eine Zeitung abgedruckt.
Liebste Grüße,
Tanja