Partisaninnen, Dichter und ein Knall in der Luft – Jüdischer Widerstand in Wilna

Es ist ein Herbstabend, die Menschen flanieren durch die Straßen der Stadt. Auch Witke Kempner ist im Menschenstrom unterwegs. Bei einem Transformatorenkasten bleibt sie stehen. Der Kasten ist mit Ölfarbe gestrichen. Magnete halten hier nicht gut. Sie kratzt an einer Stelle die Farbe mit den Fingernägeln ab. Dann macht es Klack und die magnetische Haftmine ist platziert. Einige Straßen weiter ist Chaja Schapira in gleicher Weise tätig. An vier Elektrokästen haften nun Minen. Mattis Levin und Israel Rosow gelangen unterdessen durch das unterirdische Kanalisationsnetz zur zentralen Wasserleitung. Es dauert ein bisschen, dann hört man Explosionen in der Stadt. Die Wasser- und Stromversorgung von Wilna ist zusammengebrochen.

Am 24. Juni 1941 sind deutsche Truppen im heutigen Vilnius einmarschiert. Im Juli verschleppen Deutsche die ersten 5.000 Jüd*innen in das etwa zehn Kilometer entfernte Ponar und ermorden sie dort im Wald. Die Deutschen streuen das Gerücht, dass die männlichen Juden in einem Arbeitslager seien. Bei einer weiteren “Aktion” im Sommer ermorden sie innerhalb von vier Tagen 8.000 Jüd*innen bei Ponar. Bis zur Befreiung im Jahr 1944 werden die Deutschen 100.000 Menschen in Ponar ermordet haben.

Abba Kowner, der spätere Ehemann von Witke Kempner, ruft die Jüd*innen im Ghetto Wilna in der Silvesternacht 1941/1942 zum Widerstand auf: Alle Wege der Gestapo führen nach Ponar. Und Ponar ist der Tod! Ihr Zweifler, lasst alle Illusionen fallen! Eure Kinder, Männer und Frauen leben nicht mehr. Ponar ist kein Lager. 15.000 wurden dort durch Erschießen getötet. Hitler beabsichtigt, alle Juden Europas zu vernichten.”

Der elfjährige Aleksander Volkoviski komponiert im Ghetto eine Melodie, Shmerke Kaczerginski verfasst den Text:

Shtiler, shtiler, lomir shvaygn
Kvorim vaksn do.
S’hobn zey farflantst di sonim:
Grinen zey tsum blo.
S’firn vegn tsu ponar tsu,
S’firt keyn veg tsurik.

Stiller, stiller, lasst uns schweigen,
Gräber wachsen hier.
Es haben sie gepflanzt die Feinde:
Sie wachsen grün ins Blau.
Es führen Wege nach Ponar,
Es führt kein Weg zurück.

Unter dem Ghetto entsteht eine neue Stadt. “Gehejmstot” nennt sie der Dichter und Partisan Abraham Sutzkever, dessen Mutter und kleiner Sohn ermordet wurden. In den unterirdischen Gängen und Bunkern verstecken sich die Menschen, wenn eine weitere “Aktion” der Deutschen bevorsteht. Es ist kalt, nass, dunkel. Kleine Kinder weinen und schreien vor Angst. Eltern töten ihre Kinder, damit die Deutschen das Gemeinschaftsversteck nicht entdecken; das erzählte mein damaliger Jiddisch-Dozent Jost G. Blum. “Mama, darf man schon weinen?”, fragt ein kleines Mädchen seine Mutter, nachdem es elf Monate im Versteck leben musste; das erzählte Abba Kowner als Zeuge im Eichmann-Prozess in Jerusalem.

Witke Kempner ist immer unterwegs zwischen dem Ghetto und den umliegenden Wäldern, wo die Partisan*innen ihr Lager aufgeschlagen haben. Sie kundschaftet die Gegend nach sicheren Wegen aus, sie schmuggelt Waffen und Munition in das Ghetto hinein und kurz vor der Liquidierung des Ghettos wieder hinaus. Sie kämpft zusammen mit Rozka Korczak und Zelda Treger und hält Kontakt zu Sonja Madajsker, die mit weiteren Partisaninnen für die Koordination des Widerstands zuständig ist.

Mehrere Tage lang erkundet Witke Kempner die Bahnstrecke vor den Toren Wilnas. Als sie gemeinsam mit Izye Matskevich zur Tat schreitet, dauert es nur wenige Minuten, “es git mitamol a knal ojf di luft”, so Partisan und Dichter Shmerke Kaczerginski, und dann ist der Zug der Wehrmacht samt Soldaten, Offizieren und Waffen ausgeschaltet. Dichter-Partisan Hirsch Glik widmet der mutigen Witke Kempner das Gedicht “Shtil, di nakht is oysgesternt”.

Abraham Sutzkever gelingt wenige Tage vor der Liquidierung des Ghettos die Flucht in die Naroczer Wälder, wo andere Partisan*innen bereits Stellung bezogen haben, um gemeinsam mit sowjetischen Truppen gegen die Deutschen vorzurücken. Die Kämpfe und das Sterben dauern fast noch ein Jahr, bis Wilna im Juli 1944 befreit wird. Rund 80.000 Jüd*innen lebten vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Wilna. Überlebt haben wenige hundert.

Falls ihr euch nun fragt, was Abba Kowner nach Kriegsende tat, als er von der Ermordung von insgesamt sechs Millionen Jüd*innen erfuhr: Hiervon berichtet das beschwingt-nachdenkliche Lied von Daniel Kahn Six million Germans.

Als Beitragsbild dient das für alle Nicht-Nazis ikonische Foto einiger Partisan*innen nach der Befreiung von Wilna. Rechts im Bild die hier mehrmals erwähnte Witke Kempner, hinten in der Mitte stehend Abba Kowner, rechts neben ihm Rozka Korczak.

Primäres & Sekundäres:

Abba Kowner: Zeugenaussage beim Eichmann-Prozess als englisches Transkript (Sitzung 27, ab Seite 6 Mitte) auf nizkor.com und als Video mit englischer Übersetzung auf der YouTube-Seite EichmannTrials als Session 27.

Interview mit Witke Kempner auf der YouTube-Seite der Jewish Partisan Educational Foundation über einen ihrer Sabotage-Akte: Vitka Kempner – The Avengers attack Vilna.

Shmerke Kaczerginski: Partizaner geyen. Bamberg: Ojf der wach, 1949. Darin vor allem das Kapitel Heldische mejdlech über die Partisaninnen von Wilna. Buch hier frei zugänglich in der von Steven Spielberg mitfinanzierten Yiddish Digital Library des Yiddish Book Center.

Abraham Sutzkever: Grünes Aquarium. Griner Akwarium. Prosastücke. Jiddisch und deutsch. Übersetzt von Jost G. Blum, Michael von Killisch-Horn, Mirjam Pressler. Nachwort von Jost G. Blum. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996.

Zur dichtenden Gruppe Jung-Wilne, der unter anderem Leyzer Volf, Abraham Sutzkever, Hirsch Glik und Shmerke Kaczerginski angehörten, gibt es einen kleinen Beitrag in der YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe: Yung-Vilne.

Ungelesen lässt sich eigentlich alles von Max Czollek empfehlen. Hier eine Leseprobe seines beim (freundlichen) Verlag Das Wunderhorn erschienenen Bandes über Hirsch Glik: Sog nit kejn mol, as du gejsst dem leztn weg. Zu einem Archiv wehrhafter Poesie bei Hirsch Glik. Heidelberg, 2020.

Es wurden Menschen aus dem Ghetto gerettet, Waffen hinaus- und hineingeschmuggelt – und dann gab es noch die jiddische Bücher rettende Papier-Brigade, der Shmerke Kaczerginski und Abraham Sutzkever angehörten: The Paper Brigade auf der Seite des YIVO Institute.

Das Lied von Ponar: Shtiler, shtiler von Aleksander Volkoviski und Shmerke Kaczerginski auf der Website von Yad Vashem.

Christian Herrmann zeigt in seinem Blog Vanished World Fotos von seinem Besuch der Gedenkstätte Paneriai (Ponar): You can’t tell the story of Jewish Vilnius without talking about Paneriai.

Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933-1945. München: dtv, 1997.

Arno Lustiger (Hrsg): Sog nit kejnmol… Lieder des jüdischen Widerstands. Broschüre. Frankfurt/M.: Stadt Frankfurt am Main, 1994.

Neulich in der Buchhandlung. Schwört drauf.

Schlange an der Kasse.

Buchhändler zu Kundin 1: „Gute Wahl, ich wünsche Ihnen viel Freude damit!“

Buchhändler zu Kunde 2: „Das Buch hat mir sehr gut gefallen, sehr lustig!“

Buchhändler zu Kunde 3: „Auf dieses Buch schwört unsere Chefin ja!“

Buchhändler zu A.: „Neun Euro neunzig.“

(Buy local.)

„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo

Am 26. Februar 1885 endet die Kongo-Konferenz. Der belgische König Leopold II. ist nun Besitzer eines afrikanischen Staates: „Eine riesige Tasche mitten in Afrika. Nur für Leopold.“ Und schon strömen sie aus, die kleinen Beamten, die vermeintlichen Experten, die Hasardeure, sie alle im Auftrag Leopolds, „und wohin wir auch kamen, gab es neues Land, wohin wir auch kamen, hatten die Völker seit Jahrhunderten für uns gespart; sie hatten alles gespart: ihren Kautschuk, ihren Zucker, ihren Kaffee, ihre Kraft, ihre Frauen, ihr Leben.“

Morton Stanley, „ein bisschen Schmierenkomödiant“, soll unterdessen das Kongobecken zugänglich machen. „Da Mister Stanley ihn entdeckt hat, den Kongo, wird er wohl auch wissen, wo er endet.“ Stanley raubt so viel Land, wie er kann: „So was hat man noch nie erlebt. Er lässt einen Haufen Papierkram von afrikanischen Häuptlingen unterschreiben, die nichts davon verstehen. Hier! Eure Unterschrift! [Und] wenn sie nicht unterschreiben, werden sie abgemurkst.“

Über all dem steht König Leopold, „wie der Zauberer von Oz“. Und wie Stanley tut auch Charles Lemaire im Kongo seine Pflicht, „seine schreckliche kleine Pflicht“. Weiterlesen „„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo“

Sachor

9. November 2018, 18 Uhr. Vor der Mainzer Synagoge.

Feierabendverkehr. Menschen steigen aus dem Bus, andere kommen zu Fuß oder mit dem Fahrrad. Sie bringen Kerzen mit, zünden sie an, verharren.

Neben mir ein älterer Herr aus dem Iran. Er weint.

 

Gestern

Gestern, als die Gruppe neben uns „Siamo tutti antifascisti“ anstimmt, da strahlt der ältere Herr im Sonntagsanzug. Und als die Rufe verstummen, klatscht er lautlos mit seinen zittrigen Händen und ruft ihnen zu: „Nochemol, nochemol!“

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Zenobia: „Das Meer ist jetzt ruhig.“

Die kleine Amina kennt viele gute Verstecke: unter dem Bett, im Schrank, hinter dem großen Sessel, in der Waschküche. Verstecken ist ihr Lieblingsspiel. Ihre Mutter braucht immer sehr lange, um sie zu finden. Oder zumindest tut sie so. Amina isst auch gerne die gefüllten Weinblätter, die ihre Mutter zubereitet. Aminas Vater mag die gefüllten Weinblätter ebenfalls. Oder zumindest tut er so. Animas Vater ist ein schlechter Lügner.

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Street Art in Ostende: The Crystal Ship

Ostende, die Peripherie: Weit, weit hinter dem Leuchtturm und der kostenlosen Fähre für Fußgänger und Radfahrer (ich wiederhole: eine kostenlose Fähre für Fußgänger und Radfahrer) hat der britische Street Artist Phlegm ein Schwarz-Weiß-Mural an der Außenwand einer Lagerhalle hinterlassen. Wie so häufig bei Phlegm, sind es surreale Fantasiegestalten aus Mensch, Tier und Maschine. Weiterlesen „Street Art in Ostende: The Crystal Ship“

An das liebe deutsche Volk: #hilfefuerzeitschlag

Der sehr geschätzte @zeitschlag und ich kennen uns schon so lange, da war der Teutoburger Wald noch nicht gepflanzt. Zweitausend Jahre Freundschaft, die gebe ich nicht her!

Und darum: Nathan aka @zeitschlag braucht nun unsere Hilfe. Er hat einiges für die Demokratie in unserem Land getan und unter anderem die Website wir-sind-afd.de erstellt, auf der er AfD-Zitate sammelt. Gegen die Zitate konnte die AfD nichts tun, jedoch hat sie ihr Namensrecht (in der Domain) geltend gemacht. Nathan gab die Website nicht auf, sondern stellte sich dem Prozess und der AfD.

Julia hat gestern eine Spendenaktion für Nathan initiiert, die ihr hier findet. Innerhalb weniger Stunden ist bereits eine ordentliche Summe eingegangen, doch ein bisschen Unterstützung ist noch notwendig, damit Nathan die Abmahn-, Anwalts- und Gerichtskosten von insgesamt rund 9.400 Euro zahlen kann.

Wenn ihr Nathan ein klein wenig zurückgeben wollt und könnt, dann lest Julias Text und steuert ein paar Euro bei oder teilt die Seite in den Netzwerken.

(Resistance is not futile.)


Update, 03.10.2018:

Fantastische 55.000 Euro (!) trugen freundliche Menschen im Rahmen der Spendenkampagne zusammen. Nathans Website (mit neuen AfD-Zitaten und sachdienlichen Hinweisen zur aktuellen Rechtslage) befindet sich seit einigen Tagen hier: https://das-ist-afd.de.


 

„Menschliche Mausefalle“ – Nellie Bly: Zehn Tage im Irrenhaus

Viele Jahre vor Günter Wallraff: Die US-amerikanische Journalistin Nellie Bly schleust sich undercover in eine Psychiatrie ein. Und wie in Wallraffs Reportage von 1969 über seine Erlebnisse in der Psychiatrie von Goddelau, stellt sich Nellie Bly 1887 eine wesentliche Frage: „Wie werden Sie mich herausholen“, fragt sie ihren Herausgeber von der New York World, „wenn ich einmal drin bin?“. Mit der Diagnose „gesund“ die Klinik verlassen zu können, das schien Bly ebenso wenig vorstellbar wie es sich später bei Wallraff herausstellen sollte. Weiterlesen „„Menschliche Mausefalle“ – Nellie Bly: Zehn Tage im Irrenhaus“

Samstagnachmittag in der Buchhandlung: Burn to run

Samstagnachmittag in der Buchhandlung:
A.: „Guten Tag, können Sie mir bitte die Springsteen-Autobiographie Born to run auf Englisch als Taschenbuch bestellen?“
B.: „Ja, natürlich.“ (tippt „Burn to run“)
A.: „Born to run, nicht burn to run.“
B.: „Ach so.“ (korrigiert auf „Born to run“, klickt auf Enter)
A.: „Das wird so nichts, da kommen viel zu viele Treff…“
B.: „Oh, ohhhhhh!“
A. „Schreiben Sie noch Springsteen dazu.“
B. „Okay.“ (tippt „Bingsteen“)
A.: „Ähm. Lassen Sie mich mal, bitte.“

(Und trotz alledem schneller als Amazon.)

 

„Das kann ich nicht twittern!“ – LiteraturCamp Heidelberg

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie schon zu den alten Hasen. Erspart wird einem beispielsweise die Running-Gag-Begrüßung: „Hallo! Jeder, der zum ersten Mal auf einem Barcamp ist, muss eine Session anbieten.“

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie nicht zu den alten Hasen – denn man weiß, dass die Basisverpflegung kostenlos ist, schleppt aber trotzdem das Survival Kit für einen dreiwöchigen Wildnisaufenthalt mit.

Das LiteraturCamp Heidelberg (#litcamp16) fand am 11. und 12. Juni 2016 in der Alten Feuerwache Heidelberg statt. Wie bei einem Barcamp üblich, werden die Themen der Sessions erst am Tag selbst festgelegt – jeder Teilnehmer darf eine Session anbieten oder auch, in der Hoffnung auf anwesende Experten, eine Session erfragen.

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Ich war Deutschland: Rotation Curation for Germany

Social Web Ranger Wibke Ladwig war es schon, und auch der freundliche @iPhelBlues aus der Blog-Nachbarschaft: Deutschland. Und zwar für genau eine Woche.

Unter dem Twitter-Rotationsaccount @I_amGermany spricht Deutschland seit Juni 2012 mit der Welt. Der Gedanke hinter dem von @diebestimmerin geleiteten Projekt: Deutschland soll von vielfältigen Stimmen repräsentiert werden.

Für das Projekt gibt es nur einige wenige Regeln. Die wichtigste: Seid freundlich zu euren Followern. Und so habe ich – entgegen meinen Netzgewohnheiten – jeden Tag brav „Guten Morgen“ gesagt:

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Vom nationalen Unwohlsein – Ondjaki: Die Durchsichtigen

Es atmet wie ein „lebendiges Wesen“, das Maianga-Gebäude im Herzen Luandas, mit seinen verwinkelten Gängen, den „ins Nirgendwo führenden Türen“ und dem riesigen Loch im Erdgeschoss. Während die Hitze die angolanische Hauptstadt durchdringt, sprudelt es im ersten Stock des Hauses. Das ewige Wasser geborstener Rohre flutet das düstere Stockwerk – „ein Fluss ist das […], nur Fische fehlen noch und Krokodile“, sagt Bewohnerin OmaKunjikise, „und dann heißt es, Jesus sei über das Wasser gelaufen!, einen Scheiß ist er“, sagt der Minister.

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Schwebende Bücher, erste Worte, Lesefreude – Welttag des Buches

Ein libro sospeso ist ein schwebendes Buch. Schwebend? Warum denn schwebend? Pate stand ein Brauch aus Neapel, erfahre ich, der Caffè sospeso. Man trinkt einen Kaffee und zahlt zwei. Der zweite Kaffee bleibt in der Schwebe, bis ein Bedürftiger kommt und um einen Kaffee bittet.

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#delicious_german_viza

Assaf Alassaf: Abu Jürgen. Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Im Rahmen seiner Kampagne für das deutsche Visum schwört Abu Rita der argentinischen Fußballmannschaft ab, er lässt das Haus der deutschen Botschaft in Beirut bespitzeln, liest Brecht und gibt eine maßgeschneiderte „schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten“ in Auftrag – was man als Syrer eben so für ein deutsches Visum tut.

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Zurück nach Camden

Featuring den kleinen Charles Dickens, Amy Winehouse, Morrissey, Bücher und Nerd-Dinge nebst einem Taxifahrer sowie Street Art mit Träumer. 

„Come back to Camden“, singt der selbsternannte Tausendsassa Morrissey, und wir sind nach Camden Town zurückgekehrt, dicht zusammengepresst in der Northern Line, mit Touristen aus aller Welt.

Camden Town gehört zu den spannendsten Touri-Fallen von London, zumal die Gegend um die Main Street ein großer, bunter Outdoor-Konsumtempel für Nerds und Bibliophile ist:

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Allein unter Männern

I.

Zuerst sehe ich die Urkunden. Die Urkunden, dann das Fax-Gerät und den Computer. M. selbst sitzt am Schreibtisch, lächelt stolz, in schwarzem Anzug. „Meine Kanzlei“, erklärt er mir.

Jetzt steht M. am Grill. Ein großer Garten. „Mein Haus.“

Ziemlich keck, der Kleine, das Papier gerollt im Mundwinkel, er mimt grinsend einen Raucher. „Mein Jüngster, zwei Jahre.“ M. lächelt.

„Meine Frau.“ Sympathisch, finde ich, freundliches Lächeln. „Wo ist sie jetzt?“ „Sie wartet. Mit den Kindern.“

„Mein Auto.“ Finger huschen über das Display. Zoom. Zwei Einschusslöcher über dem Vorderreifen. Wir blicken uns an.

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„Die Tauben verstanden das aber nicht.“ – Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Als Mahdi neun Jahr alt ist, fällt sein Vater im Ersten Golfkrieg. Seitdem nennt man Mahdi den Märtyrersohn. In der Schule erhält er als Belohnung in allen Fächern zehn Punkte. Seine Mutter, ganz pragmatisch, kauft mit dem Geldgeschenk der irakischen Regierung eine Wohnung und eröffnet einen kleinen Laden – den nennt sie „Märtyrergemüsegeschäft“.

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„Diese Welt ist ein Wald.“ – Ein Chat von der Flucht

Mein Akku ist gleich leer. Chat von einer Flucht. Mikrotext„Das ist keine Reise, das ist ein Roman“, schreibt Faiz. Da ist er schon mehrere Wochen unterwegs. Eine „furchtbare Reise“ sei es, teilt er Julia im Chat mit. Und auch: „Es ist alles ein Abenteuer oder ein Roman.“

In seiner syrischen Heimat war Faiz Medienaktivist. Nun wird er gesucht, „vom Regime und von ISIS“. Seine Flucht führt ihn aus der Türkei durch Mazedonien und Serbien, dann nach Rumänien. Julia ist Faiz‘ virtuelle Reisebegleiterin. Immer wieder fragt sie ihn, wie sie ihm helfen könne. Sie erlebt die einzelnen Etappen seiner Flucht und immer wieder die Rückschläge. Mehrmals wird Faiz von der Polizei aufgegriffen, landet im Gefängnis: „Ich geh einfach zurück nach Syrien. Ich bin ein Pechvogel. Immer werde ich erwischt.“

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Oh Freunde, diese Töne.

Die AfD. Gestern in Mainz unter dem Gutenberg-Denkmal.

Der Dom dunkel, das Mainzer Staatstheater mit Bahnhofsbeleuchtung und Banner aus Lessings Nathan: „Es eifre jeder seiner unbestochenen von Vorurteilen freien Liebe nach.“

Rund 1.000 Gegendemonstranten lärmen, was das Zeug hält. Lauter Applaus, als aus dem Theater die Ode an die Freude erklingt: „Alle Menschen werden Brüder.“

Vor mir, direkt an der Absperrung, eine alte Dame, die im strömenden Regen mit ihrer Trillerpfeife unablässig gegen die AfD anlärmt. Bei ihr ein Flüchtling. Er ist ganz stumm und hält ihr den aufgespannten Regenschirm über den Kopf.

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Wanderungen durch Londons East End: Street Art in Shoreditch


Wo genau liegt das Londoner East End? Wo beginnt es, wo endet es?

Eine exakte geographische Verortung, eine Grenzziehung, scheint kaum möglich. Das East End wächst Tag um Tag mit der Metropole, das East End schrumpft Stunde um Stunde mit der voranschreitenden Gentrifizierung einzelner Stadtteile. Fest steht jedenfalls, dass das East End in einer der finsteren Gassen östlich der City of London beginnt und im Süden von der Themse begrenzt wird.

Gefühlt beginnt das East End dort, wo die Londoner CCTV-Überwachungskameras enden und die futuristischen Finanzhochhäuser des seelenlosen Canary Wharf noch nicht den Blick gen Himmel verstellen – perfekte Rahmenbedingungen für Street Artists.

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Transparenz-Lehrstück aus der Vorhölle des Buch-Marketings

Irgendwo in Deutschland. Eine institutionell-internationalisierte regionale Buchmesse für Kleinverlage. Verlegerin Z. steht allein an ihrem Stand und starrt ins Leere. Bloggerin A. und ihr Blogpraktikant J. treten hinzu.

BLOGGERIN A. [greift ohne zu zögern nach zwei Büchern und blättert sie durch]: Die sind ja spannend…

VERLEGERIN Z.: Mhm.

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Für Blender und Geheimagenten: Was suchst Du?

Ich werde immer wieder darauf angesprochen, ob es mehr als nur eine Einleitungsphrase für Blender 2.0 gibt.

Was die Welt außerdem ständig von mir wissen möchte: Was sind eigentlich Deine Lieblingssuchanfragen, die SEO-Gott Google in letzter Zeit auf Deinen Blog gelenkt hat? Und könntest Du bitte unbeantwortet gebliebene Suchanfragen beantworten, damit niemand vom Glauben abfällt?

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