Partisaninnen, Dichter und ein Knall in der Luft – Jüdischer Widerstand in Wilna

Es ist ein Herbstabend, die Menschen flanieren durch die Straßen der Stadt. Auch Witke Kempner ist im Menschenstrom unterwegs. Bei einem Transformatorenkasten bleibt sie stehen. Der Kasten ist mit Ölfarbe gestrichen. Magnete halten hier nicht gut. Sie kratzt an einer Stelle die Farbe mit den Fingernägeln ab. Dann macht es Klack und die magnetische Haftmine ist platziert. Einige Straßen weiter ist Chaja Schapira in gleicher Weise tätig. An vier Elektrokästen haften nun Minen. Mattis Levin und Israel Rosow gelangen unterdessen durch das unterirdische Kanalisationsnetz zur zentralen Wasserleitung. Es dauert ein bisschen, dann hört man Explosionen in der Stadt. Die Wasser- und Stromversorgung von Wilna ist zusammengebrochen.

Am 24. Juni 1941 sind deutsche Truppen im heutigen Vilnius einmarschiert. Im Juli verschleppen Deutsche die ersten 5.000 Jüd*innen in das etwa zehn Kilometer entfernte Ponar und ermorden sie dort im Wald. Die Deutschen streuen das Gerücht, dass die männlichen Juden in einem Arbeitslager seien. Bei einer weiteren “Aktion” im Sommer ermorden sie innerhalb von vier Tagen 8.000 Jüd*innen bei Ponar. Bis zur Befreiung im Jahr 1944 werden die Deutschen 100.000 Menschen in Ponar ermordet haben.

Abba Kowner, der spätere Ehemann von Witke Kempner, ruft die Jüd*innen im Ghetto Wilna in der Silvesternacht 1941/1942 zum Widerstand auf: Alle Wege der Gestapo führen nach Ponar. Und Ponar ist der Tod! Ihr Zweifler, lasst alle Illusionen fallen! Eure Kinder, Männer und Frauen leben nicht mehr. Ponar ist kein Lager. 15.000 wurden dort durch Erschießen getötet. Hitler beabsichtigt, alle Juden Europas zu vernichten.”

Der elfjährige Aleksander Volkoviski komponiert im Ghetto eine Melodie, Shmerke Kaczerginski verfasst den Text:

Shtiler, shtiler, lomir shvaygn
Kvorim vaksn do.
S’hobn zey farflantst di sonim:
Grinen zey tsum blo.
S’firn vegn tsu ponar tsu,
S’firt keyn veg tsurik.

Stiller, stiller, lasst uns schweigen,
Gräber wachsen hier.
Es haben sie gepflanzt die Feinde:
Sie wachsen grün ins Blau.
Es führen Wege nach Ponar,
Es führt kein Weg zurück.

Unter dem Ghetto entsteht eine neue Stadt. “Gehejmstot” nennt sie der Dichter und Partisan Abraham Sutzkever, dessen Mutter und kleiner Sohn ermordet wurden. In den unterirdischen Gängen und Bunkern verstecken sich die Menschen, wenn eine weitere “Aktion” der Deutschen bevorsteht. Es ist kalt, nass, dunkel. Kleine Kinder weinen und schreien vor Angst. Eltern töten ihre Kinder, damit die Deutschen das Gemeinschaftsversteck nicht entdecken; das erzählte mein damaliger Jiddisch-Dozent Jost G. Blum. “Mama, darf man schon weinen?”, fragt ein kleines Mädchen seine Mutter, nachdem es elf Monate im Versteck leben musste; das erzählte Abba Kowner als Zeuge im Eichmann-Prozess in Jerusalem.

Witke Kempner ist immer unterwegs zwischen dem Ghetto und den umliegenden Wäldern, wo die Partisan*innen ihr Lager aufgeschlagen haben. Sie kundschaftet die Gegend nach sicheren Wegen aus, sie schmuggelt Waffen und Munition in das Ghetto hinein und kurz vor der Liquidierung des Ghettos wieder hinaus. Sie kämpft zusammen mit Rozka Korczak und Zelda Treger und hält Kontakt zu Sonja Madajsker, die mit weiteren Partisaninnen für die Koordination des Widerstands zuständig ist.

Mehrer Tage lang erkundet Witke Kempner die Bahnstrecke vor den Toren Wilnas. Als sie gemeinsam mit Izye Matskevich zur Tat schreitet, dauert es nur wenige Minuten, “es git mitamol a knal ojf di luft”, so Partisan und Dichter Shmerke Kaczerginski, und dann ist der Zug der Wehrmacht samt Soldaten, Offizieren und Waffen ausgeschaltet. Dichter-Partisan Hirsch Glik widmet der mutigen Witke Kempner das Gedicht “Shtil, di nakht is oysgesternt”.

Abraham Sutzkever gelingt wenige Tage vor der Liquidierung des Ghettos die Flucht in die Naroczer Wälder, wo andere Partisan*innen bereits Stellung bezogen haben, um gemeinsam mit sowjetischen Truppen gegen die Deutschen vorzurücken. Die Kämpfe und das Sterben dauern fast noch ein Jahr, bis Wilna im Juli 1944 befreit wird. Rund 80.000 Jüd*innen lebten vor dem Einmarsch der deutschen Truppen in Wilna. Überlebt haben wenige hundert.

Falls ihr euch nun fragt, was Abba Kowner nach Kriegsende tat, als er von der Ermordung von insgesamt sechs Millionen Jüd*innen erfuhr: Hiervon berichtet das beschwingt-nachdenkliche Lied von Daniel Kahn Six million Germans.

Als Beitragsbild dient das für alle Nicht-Nazis ikonische Foto einiger Partisan*innen nach der Befreiung von Wilna. Rechts im Bild die hier mehrmals erwähnte Witke Kempner, hinten in der Mitte stehend Abba Kowner, rechts neben ihm Rozka Korczak.

Primäres & Sekundäres:

Abba Kowner: Zeugenaussage beim Eichmann-Prozess als englisches Transkript (Sitzung 27, ab Seite 6 Mitte) auf nizkor.com und als Video mit englischer Übersetzung auf der YouTube-Seite EichmannTrials als Session 27.

Interview mit Witke Kempner auf der YouTube-Seite der Jewish Partisan Educational Foundation über einen ihrer Sabotage-Akte: Vitka Kempner – The Avengers attack Vilna.

Shmerke Kaczerginski: Partizaner geyen. Bamberg: Ojf der wach, 1949. Darin vor allem das Kapitel Heldische mejdlech über die Partisaninnen von Wilna. Buch hier frei zugänglich in der von Steven Spielberg mitfinanzierten Yiddish Digital Library des Yiddish Book Center.

Abraham Sutzkever: Grünes Aquarium. Griner Akwarium. Prosastücke. Jiddisch und deutsch. Übersetzt von Jost G. Blum, Michael von Killisch-Horn, Mirjam Pressler. Nachwort von Jost G. Blum. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1996.

Zur dichtenden Gruppe Jung-Wilne, der unter anderem Leyzer Volf, Abraham Sutzkever, Hirsch Glik und Shmerke Kaczerginski angehörten, gibt es einen kleinen Beitrag in der YIVO Encyclopedia of Jews in Eastern Europe: Yung-Vilne.

Ungelesen lässt sich eigentlich alles von Max Czollek empfehlen. Hier eine Leseprobe seines beim (freundlichen) Verlag Das Wunderhorn erschienenen Bandes über Hirsch Glik: Sog nit kejn mol, as du gejsst dem leztn weg. Zu einem Archiv wehrhafter Poesie bei Hirsch Glik. Heidelberg, 2020.

Es wurden Menschen aus dem Ghetto gerettet, Waffen hinaus- und hineingeschmuggelt – und dann gab es noch die jiddische Bücher rettende Papier-Brigade, der Shmerke Kaczerginski und Abraham Sutzkever angehörten: The Paper Brigade auf der Seite des YIVO Institute.

Das Lied von Ponar: Shtiler, shtiler von Aleksander Volkoviski und Shmerke Kaczerginski auf der Website von Yad Vashem.

Christian Herrmann zeigt in seinem Blog Vanished World Fotos von seinem Besuch der Gedenkstätte Paneriai (Ponar): You can’t tell the story of Jewish Vilnius without talking about Paneriai.

Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod! Vom Widerstand der Juden 1933-1945. München: dtv, 1997.

Arno Lustiger (Hrsg): Sog nit kejnmol… Lieder des jüdischen Widerstands. Broschüre. Frankfurt/M.: Stadt Frankfurt am Main, 1994.

Neulich in der Buchhandlung. Schwört drauf.

Schlange an der Kasse.

Buchhändler zu Kundin 1: „Gute Wahl, ich wünsche Ihnen viel Freude damit!“

Buchhändler zu Kunde 2: „Das Buch hat mir sehr gut gefallen, sehr lustig!“

Buchhändler zu Kunde 3: „Auf dieses Buch schwört unsere Chefin ja!“

Buchhändler zu A.: „Neun Euro neunzig.“

(Buy local.)

„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo

Am 26. Februar 1885 endet die Kongo-Konferenz. Der belgische König Leopold II. ist nun Besitzer eines afrikanischen Staates: „Eine riesige Tasche mitten in Afrika. Nur für Leopold.“ Und schon strömen sie aus, die kleinen Beamten, die vermeintlichen Experten, die Hasardeure, sie alle im Auftrag Leopolds, „und wohin wir auch kamen, gab es neues Land, wohin wir auch kamen, hatten die Völker seit Jahrhunderten für uns gespart; sie hatten alles gespart: ihren Kautschuk, ihren Zucker, ihren Kaffee, ihre Kraft, ihre Frauen, ihr Leben.“

Morton Stanley, „ein bisschen Schmierenkomödiant“, soll unterdessen das Kongobecken zugänglich machen. „Da Mister Stanley ihn entdeckt hat, den Kongo, wird er wohl auch wissen, wo er endet.“ Stanley raubt so viel Land, wie er kann: „So was hat man noch nie erlebt. Er lässt einen Haufen Papierkram von afrikanischen Häuptlingen unterschreiben, die nichts davon verstehen. Hier! Eure Unterschrift! [Und] wenn sie nicht unterschreiben, werden sie abgemurkst.“

Über all dem steht König Leopold, „wie der Zauberer von Oz“. Und wie Stanley tut auch Charles Lemaire im Kongo seine Pflicht, „seine schreckliche kleine Pflicht“. Weiterlesen „„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo“

Zenobia: „Das Meer ist jetzt ruhig.“

Die kleine Amina kennt viele gute Verstecke: unter dem Bett, im Schrank, hinter dem großen Sessel, in der Waschküche. Verstecken ist ihr Lieblingsspiel. Ihre Mutter braucht immer sehr lange, um sie zu finden. Oder zumindest tut sie so. Amina isst auch gerne die gefüllten Weinblätter, die ihre Mutter zubereitet. Aminas Vater mag die gefüllten Weinblätter ebenfalls. Oder zumindest tut er so. Animas Vater ist ein schlechter Lügner.

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Samstagnachmittag in der Buchhandlung: Burn to run

Samstagnachmittag in der Buchhandlung:
A.: „Guten Tag, können Sie mir bitte die Springsteen-Autobiographie Born to run auf Englisch als Taschenbuch bestellen?“
B.: „Ja, natürlich.“ (tippt „Burn to run“)
A.: „Born to run, nicht burn to run.“
B.: „Ach so.“ (korrigiert auf „Born to run“, klickt auf Enter)
A.: „Das wird so nichts, da kommen viel zu viele Treff…“
B.: „Oh, ohhhhhh!“
A. „Schreiben Sie noch Springsteen dazu.“
B. „Okay.“ (tippt „Bingsteen“)
A.: „Ähm. Lassen Sie mich mal, bitte.“

(Und trotz alledem schneller als Amazon.)

 

„Das kann ich nicht twittern!“ – LiteraturCamp Heidelberg

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie schon zu den alten Hasen. Erspart wird einem beispielsweise die Running-Gag-Begrüßung: „Hallo! Jeder, der zum ersten Mal auf einem Barcamp ist, muss eine Session anbieten.“

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie nicht zu den alten Hasen – denn man weiß, dass die Basisverpflegung kostenlos ist, schleppt aber trotzdem das Survival Kit für einen dreiwöchigen Wildnisaufenthalt mit.

Das LiteraturCamp Heidelberg (#litcamp16) fand am 11. und 12. Juni 2016 in der Alten Feuerwache Heidelberg statt. Wie bei einem Barcamp üblich, werden die Themen der Sessions erst am Tag selbst festgelegt – jeder Teilnehmer darf eine Session anbieten oder auch, in der Hoffnung auf anwesende Experten, eine Session erfragen.

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Ich war Deutschland: Rotation Curation for Germany

Social Web Ranger Wibke Ladwig war es schon, und auch der freundliche @iPhelBlues aus der Blog-Nachbarschaft: Deutschland. Und zwar für genau eine Woche.

Unter dem Twitter-Rotationsaccount @I_amGermany spricht Deutschland seit Juni 2012 mit der Welt. Der Gedanke hinter dem von @diebestimmerin geleiteten Projekt: Deutschland soll von vielfältigen Stimmen repräsentiert werden.

Für das Projekt gibt es nur einige wenige Regeln. Die wichtigste: Seid freundlich zu euren Followern. Und so habe ich – entgegen meinen Netzgewohnheiten – jeden Tag brav „Guten Morgen“ gesagt:

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Vom nationalen Unwohlsein – Ondjaki: Die Durchsichtigen

Es atmet wie ein „lebendiges Wesen“, das Maianga-Gebäude im Herzen Luandas, mit seinen verwinkelten Gängen, den „ins Nirgendwo führenden Türen“ und dem riesigen Loch im Erdgeschoss. Während die Hitze die angolanische Hauptstadt durchdringt, sprudelt es im ersten Stock des Hauses. Das ewige Wasser geborstener Rohre flutet das düstere Stockwerk – „ein Fluss ist das […], nur Fische fehlen noch und Krokodile“, sagt Bewohnerin OmaKunjikise, „und dann heißt es, Jesus sei über das Wasser gelaufen!, einen Scheiß ist er“, sagt der Minister.

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Schwebende Bücher, erste Worte, Lesefreude – Welttag des Buches

Ein libro sospeso ist ein schwebendes Buch. Schwebend? Warum denn schwebend? Pate stand ein Brauch aus Neapel, erfahre ich, der Caffè sospeso. Man trinkt einen Kaffee und zahlt zwei. Der zweite Kaffee bleibt in der Schwebe, bis ein Bedürftiger kommt und um einen Kaffee bittet.

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#delicious_german_viza

Assaf Alassaf: Abu Jürgen. Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Im Rahmen seiner Kampagne für das deutsche Visum schwört Abu Rita der argentinischen Fußballmannschaft ab, er lässt das Haus der deutschen Botschaft in Beirut bespitzeln, liest Brecht und gibt eine maßgeschneiderte „schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten“ in Auftrag – was man als Syrer eben so für ein deutsches Visum tut.

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Zurück nach Camden

Featuring den kleinen Charles Dickens, Amy Winehouse, Morrissey, Bücher und Nerd-Dinge nebst einem Taxifahrer sowie Street Art mit Träumer. 

„Come back to Camden“, singt der selbsternannte Tausendsassa Morrissey, und wir sind nach Camden Town zurückgekehrt, dicht zusammengepresst in der Northern Line, mit Touristen aus aller Welt.

Camden Town gehört zu den spannendsten Touri-Fallen von London, zumal die Gegend um die Main Street ein großer, bunter Outdoor-Konsumtempel für Nerds und Bibliophile ist:

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„Die Tauben verstanden das aber nicht.“ – Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Als Mahdi neun Jahr alt ist, fällt sein Vater im Ersten Golfkrieg. Seitdem nennt man Mahdi den Märtyrersohn. In der Schule erhält er als Belohnung in allen Fächern zehn Punkte. Seine Mutter, ganz pragmatisch, kauft mit dem Geldgeschenk der irakischen Regierung eine Wohnung und eröffnet einen kleinen Laden – den nennt sie „Märtyrergemüsegeschäft“.

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„Diese Welt ist ein Wald.“ – Ein Chat von der Flucht

Mein Akku ist gleich leer. Chat von einer Flucht. Mikrotext„Das ist keine Reise, das ist ein Roman“, schreibt Faiz. Da ist er schon mehrere Wochen unterwegs. Eine „furchtbare Reise“ sei es, teilt er Julia im Chat mit. Und auch: „Es ist alles ein Abenteuer oder ein Roman.“

In seiner syrischen Heimat war Faiz Medienaktivist. Nun wird er gesucht, „vom Regime und von ISIS“. Seine Flucht führt ihn aus der Türkei durch Mazedonien und Serbien, dann nach Rumänien. Julia ist Faiz‘ virtuelle Reisebegleiterin. Immer wieder fragt sie ihn, wie sie ihm helfen könne. Sie erlebt die einzelnen Etappen seiner Flucht und immer wieder die Rückschläge. Mehrmals wird Faiz von der Polizei aufgegriffen, landet im Gefängnis: „Ich geh einfach zurück nach Syrien. Ich bin ein Pechvogel. Immer werde ich erwischt.“

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Transparenz-Lehrstück aus der Vorhölle des Buch-Marketings

Irgendwo in Deutschland. Eine institutionell-internationalisierte regionale Buchmesse für Kleinverlage. Verlegerin Z. steht allein an ihrem Stand und starrt ins Leere. Bloggerin A. und ihr Blogpraktikant J. treten hinzu.

BLOGGERIN A. [greift ohne zu zögern nach zwei Büchern und blättert sie durch]: Die sind ja spannend…

VERLEGERIN Z.: Mhm.

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Für Blender und Geheimagenten: Was suchst Du?

Ich werde immer wieder darauf angesprochen, ob es mehr als nur eine Einleitungsphrase für Blender 2.0 gibt.

Was die Welt außerdem ständig von mir wissen möchte: Was sind eigentlich Deine Lieblingssuchanfragen, die SEO-Gott Google in letzter Zeit auf Deinen Blog gelenkt hat? Und könntest Du bitte unbeantwortet gebliebene Suchanfragen beantworten, damit niemand vom Glauben abfällt?

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Martello Tower, Sandycove: Rather bleak in wintertime…


„Rather bleak in wintertime, I should say. Martello you call it?“

Ja, Martello Tower nennt man ihn, den berühmten Schauplatz aus James Joyce‘ Klassiker Ulysses.

Etwas trist sieht er tatsächlich aus, der Martello Tower in Sandycove, in dem Joyce einige Tage im September 1904 lebte:

Martello Tower Sandycove 1

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NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen

Wir brauchen neue NamenNamen gibt es viele in diesem Roman: Da ist die junge Protagonistin Darling, die mit ihren Freunden Bastard, Chipo und Godknows durch die Straßen ihres Ortes zieht. Der Ort trägt den Namen Paradise. Paradise ist eine Blechhüttensiedlung.

Um sich die Zeit zu vertreiben, erfinden Darling und ihre Freunde Spiele, zum Beispiel das Landspiel: „Aber vorher müssen wir uns um die Namen streiten, weil alle bestimmte Länder sein wollen, also alle wollen USA sein und England und Kanada… Keiner will so ein lumpiges Land sein wie Kongo, Somalia oder Irak, wie Sudan, Haiti oder Sri Lanka oder auch das, in dem wir leben.“

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Liza Codys Obdachlosenroman Lady Bag: „Quasseln, quasseln, quasseln und nichts merken.“

London-Literatur Lady BagEine Obdachlose mit Hund versucht, ein Verbrechen in London aufzuklären. Das ist der Plot (um es kurz zu machen) von Lady Bag. Und dennoch habe ich keinen Kriminalroman gelesen.

Gelesen habe ich einen Großstadtroman aus der Perspektive einer Ausgestoßenen. Ihre besten Freunde sind der Rotwein und Hund Elektra. Das war nicht immer so. Erst einmal ihr Vermögen und ihren gut bezahlten Job verloren, geht es – aus der Sicht der Gesellschaft – für sie bergab:

„Sie besorgen dir eine Behelfsunterkunft in einer Vorstadtpension, meilenweit von Sozial- und Arbeitsamt. Du hast kein Geld für den Bus, also brauchst du Stunden, um zu Fuß hinzulaufen, nur um festzustellen, dass das zuständige Büro geschlossen hat.“

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Trackback! danares.mag im Radio

Radio, what’s new?

Trackback: danares.mag im RadioNeu im Radio ist, dass die Betreiberin von danares.mag (eine fleißige Radio- und Podcast-Hörerin) gestern zum ersten Mal hinter das Mikrofon trat und die Welt mit ihrer Meinung belästigen durfte. :-)

Mit der sehr freundlichen Teresa Sickert sprach ich in der Radio-Sendung Trackback über Weltliteratur und Straßenpoesie, die Straßen von London, die coolste Autorin Brasiliens und den Unterschied zwischen Content und Inhalt.

Die liebe Blogger-Kollegin Miss Booleana hatte mich für das Interview vorgeschlagen – und meine Blogger-Vorschläge für die nächste Woche sind die überaus geschätzten Menschen hinter den Blogs von Zeilentiger liest Kesselleben und Gemütliche Sitzsätze. Die großartige Juna im Netz (samt Blog) durfte im Gespräch natürlich nicht unerwähnt bleiben. :-)

Mein Dank gilt übrigens dem pakistanischen Ein-Pfund-Laden im Herzen Londons. Ohne seine famosen Grippe-Tabletten hätte es kein Interview gegeben.

Wie es sich für eine richtige Radio-Sendung gehört, könnt ihr Trackback natürlich auch als Podcast abonnieren.

Die Sendung von gestern mit meinen verschnupften Wortbeiträgen ab Minute 49:05 gibt es hier.


Wie groß sollte unser Aufmerksamkeitskreis sein? Zadie Smiths Erzählung „Die Botschaft von Kambodscha“

London-Literatur_Zadie Smith Botschaft KambodschaIn einer alten Metro-Ausgabe liest Fatou die Geschichte einer Londoner Sklavin. Wenn Fatou ihr eigenes Leben als Haushälterin im Nordwesten von London mit dieser Sklavin vergleicht, dann geht es ihr eigentlich ganz gut.

Sie wurde noch nie von ihren Arbeitgebern verprügelt. (Gut, geohrfeigt schon.) Sie darf sogar das Haus verlassen. Auch die Freiheit versprechende Oyster Card darf sie mitnehmen, wenn sie die Einkäufe der Familie im Londoner Stadtteil Willesden erledigt. Nicht so gut: Ihren Pass musste sie der Familie bei Arbeitsantritt aushändigen – und ihren Lohn bekommt sie auch nicht ausgezahlt, schließlich verursacht Fatou Kosten bei der Nahrungsaufnahme und beim Wasserverbrauch.

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„Das Land ist im Arsch.“ – In Koli Jean Bofanes Roman „Sinusbögen überm Kongo“

Literatur_Sinusbögen überm KongoWie Ameisenheere strömen die Menschenmassen täglich zu Fuß nach Kinshasa, in diese magische Stadt, die mit ihren modernen Hochhäusern Arbeit und Wohlstand verspricht. In dieser „grausamen Königin“ Kinshasa, die sich von den Hoffnungen und Träumen der Kongolesen ernährt, lebt Celio.

Celio, das ehemalige Waisenkind, schlägt sich gerade so durch. Er geht von Haus zu Haus und bittet um Spenden für eine „NGO, die sich mit allem und nichts beschäftigt“. Seine eigentliche Berufung ist die Mathematik – allein die Nachfrage nach Sinuskurven und Hypotenusen fehlt.

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Banksy: Wall and Piece

Banksy Wall and PieceT-Shirts, Handtaschen, Buttons – auf dem Londoner Portobello Market in Notting Hill ist Che Guevara in allen Formen und Preislagen zu kaufen. Eines Morgens blickt der Revolutionär jedoch auf einmal in vielfacher, überlebensgroßer Ausfertigung von der Eisenbrücke hinunter auf den Ort seiner Vermarktung.

„Ich glaube, ich habe versucht ein Statement gegen das endlose Recycling einer Ikone abzugeben“, sagt Banksy, der in einer Nacht- und Nebelaktion die Wanddekoration angebracht hatte. „Die Menschen glauben offenbar, dass sie sich nicht mehr wie ein Revolutionär verhalten müssen, wenn sie sich wie ein Revolutionär kleiden.“

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Lektüre überlebt: Jürgen Heimbachs Regionalkrimi „Chagalls Rache“

Heimbach Chagalls RacheVon Axel Hacke stammt der schöne Satz: „Erst wenn der letzte deutsche Lehrer und der letzte deutsche Journalist einen Regionalkrimi geschrieben haben werden, werdet ihr merken, dass man’s auch übertreiben kann.“

Als großer Freund der Kulturindustrie habe ich schon so manchen Protagonisten seufzend, die Lippen zusammen pressend und innerlich fluchend erlebt – warum also, so fragte ich mich, nicht einmal einige Lesestunden mit dem liebsten Kind der Regionalpresse und dem größten Feind des überregionalen Feuilletons verbringen?

Zugegeben, ich war auf der Suche nach etwas richtig Schlechtem, als ich vor dem Regionalkrimi-Sortiment meiner Mainzer Buchhandelsnachbarschaft Bukafski stand: unterirdischer Stil, flache Charaktere und endlos verwickelte Ortsbeschreibungen, um den Text mit möglichst vielen regionalen Sehenswürdigkeiten aufzublähen. Alle meine Vorurteile gegenüber dem Regionalkrimi sollten sich bestätigen.

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„Am Ende war das Wort.“ – Nona Fernández: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho

Literatur Chile Fernández Wasser MapochoEs sind keine schönen Geschichten, die man sich in den Straßen von Santiago de Chile erzählt. Da gibt es den Indigenen Lautaro, dessen Kopf einst von den spanischen Eroberern auf eine Lanze aufgespießt und in den Fluten des Mapocho versenkt wurde. Seit dieser Zeit geistert Lautaro als kopfloser Reiter durch die Stadt.

Und dann gibt es den Teufel höchstpersönlich, der von zahllosen Sklaven die erste feste Brücke der Stadt erbauen ließ, dank der Santiago „die Tentakeln“ ausstreckte und „den Duft des Paradieses unter dem Zement des Fortschritts“ begrub. Ein Mann in Lumpen. In seinem Handkarren schläft eine Frau, ihre Eingeweide hängen heraus. Man hat ihr das Kind aus dem Bauch gerissen. Das ist ihre Geschichte.

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Sing mir ein Lied vom Drogenbaron – Erazo Heufelders Reisereportage „Drogenkorridor Mexiko“

Drogenkorridor MexikoHoch oben, auf dem Friedhof von Santiago de los Caballeros, thront vor der malerischen Kulisse der Sierra Madre ein gigantischer Marmortempel. Es soll die letzte Ruhestätte des Drogenbosses Ernesto Fonseca Carrillo werden – nachdem er im Gefängnis seine lebenslange Haftstrafe abgesessen hat.

Ihre Denkmäler lassen sich die mexikanischen Drogenbarone schon zu Lebzeiten errichten. Und während sich korrupte Politiker am Drogenhandel bereichern, verkaufen sich Drogenbarone als vermeintliche Philanthropen. Den Menschen in Badiraguato, so schreibt Erazo Heufelder in ihrer Reportage Drogenkorridor Mexiko, sei der Drogenbaron Rafael Caro Quintero als größter Gönner ihrer Gemeinde in Erinnerung geblieben. Er habe nicht nur Schulen und Kirchen bauen lassen, sondern auch abgelegene Ortschaften mit Strom versorgt.

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Nerdy News from London: Von Büchern, Zeitreisenden und Zauberlehrlingen

Es ist nun etwa ein Jahr her, als ich gemeinsam mit Mr. M. diverse Buchhandlungen und Nerd-Attraktionen in London erkundete. Anlässlich der London Film and Comic Con sowie der Reunion der legendären Monty-Python-Truppe hat sich Mr. X. erneut als Location Scout auf die Straßen der britischen Hauptstadt begeben.

Das Londoner Stadtviertel Bloomsbury ist Freunden des guten Buchs ein Begriff. Zu den zahlreichen kleinen, unabhängigen Buchhandlungen in Bloomsbury zählt das Antiquariat Collinge & Clark. Dem einen oder anderen mag die Buchhandlung bekannt vorkommen. In der herausragenden britischen Serie Black Books um den skurrilen Buchhändler Bernard Black fungierte sie als Außenkulisse.

London_Black Books

Die Mainzer Republik, oder: War da was? – Jörg Schweigards „Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein”

Mainzer RepublikSchwer vorzustellen, aber es gab eine Zeit, in der es Schriftsteller und Gelehrte aus aller Welt nach Mainz am Rhein zog. Freimaurer, Illuminaten, Lesegesellschaften, Landsmannschaften – es war einiges los in der Stadt. Im Jahr 1789 erreichte zudem der Pariser Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Rhein – und die Toleranz des Mainzer Kurfürsten Karl Friedrich von Erthal seine Grenzen. Denn wo früher hinter verschlossenen Türen debattiert wurde, wurde nun öffentlich protestiert.
Jörg Schweigard berichtet in Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein über die bewegten Jahre vor und während der kurzlebigen Mainzer Republik, die von Oktober 1792 bis Juli 1793 währte. Er stellt die zentralen Akteure der Zeit sowie ihre Organisationsformen vor, die schließlich zum ersten demokratisch gewählten Parlament auf deutschem Boden führten.

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„Das hier ist die Welt.” – Eliane Brums Fußballgeschichte „Raimundo und der Ball”

Raimundo und der BallIrgendwo im brasilianischen Urwald steht eine geheimnisvolle Truhe, gefüllt mit vergilbten Blättern. Raimundos Urgroßvater hatte sie an jenen Ort mitgebracht, getrieben von den Versprechungen, den Gummibäumen des Urwalds ihre Milch entreißen zu können. Der Inhalt der alten Blätter bleibt seinen Nachfahren verborgen, „denn die Schule hatte als Erste geschlossen, als Gummi fast nur noch so wenig wert war wie ein Mensch”.

An dem Tag, als Raimundos Kindheit endet, zaubert sein Vater noch etwas anderes aus der Truhe. Es ist ein Fußball, den er mit den feierlichen Worten überreicht: „Raimundo, mein Sohn, das hier ist die Welt.”

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Was macht eigentlich so ein Blogger…


Was macht eigentlich so ein Blogger, wenn er (oder in meinem Fall: sie) gerade nicht bloggt? Es könnte sein, dass sich ein Blogger in diesem Fall weiteren Herzensangelegenheiten widmet.

GreenC_1Zu diesen gehörte in den letzten Wochen vor allem der Green City Guide Mainz, der erste nachhaltige Stadtführer für Mainz, an dessen Lektorat ich mitwirken durfte.

Der Stadtführer enthält nicht nur äußerst freundliche Geschäfte aus meiner Nachbarschaft, wie das Neustadteis und Bukafski Buchhandlung & Café, sondern auch lehrreiche Beiträge zum Thema Nachhaltigkeit sowie grüne Ausflugs- & andere Geheimtipps.

Bitte kauft den Green City Guide im vernünftigen Buchhandel. Ihr wisst, wen ich damit nicht meine (ISBN: 978-3-95575-035-0).

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