„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo

Am 26. Februar 1885 endet die Kongo-Konferenz. Der belgische König Leopold II. ist nun Besitzer eines afrikanischen Staates: „Eine riesige Tasche mitten in Afrika. Nur für Leopold.“ Und schon strömen sie aus, die kleinen Beamten, die vermeintlichen Experten, die Hasardeure, sie alle im Auftrag Leopolds, „und wohin wir auch kamen, gab es neues Land, wohin wir auch kamen, hatten die Völker seit Jahrhunderten für uns gespart; sie hatten alles gespart: ihren Kautschuk, ihren Zucker, ihren Kaffee, ihre Kraft, ihre Frauen, ihr Leben.“

Morton Stanley, „ein bisschen Schmierenkomödiant“, soll unterdessen das Kongobecken zugänglich machen. „Da Mister Stanley ihn entdeckt hat, den Kongo, wird er wohl auch wissen, wo er endet.“ Stanley raubt so viel Land, wie er kann: „So was hat man noch nie erlebt. Er lässt einen Haufen Papierkram von afrikanischen Häuptlingen unterschreiben, die nichts davon verstehen. Hier! Eure Unterschrift! [Und] wenn sie nicht unterschreiben, werden sie abgemurkst.“

Über all dem steht König Leopold, „wie der Zauberer von Oz“. Und wie Stanley tut auch Charles Lemaire im Kongo seine Pflicht, „seine schreckliche kleine Pflicht“. Weiterlesen „„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo“

Zenobia: „Das Meer ist jetzt ruhig.“

Die kleine Amina kennt viele gute Verstecke: unter dem Bett, im Schrank, hinter dem großen Sessel, in der Waschküche. Verstecken ist ihr Lieblingsspiel. Ihre Mutter braucht immer sehr lange, um sie zu finden. Oder zumindest tut sie so. Amina isst auch gerne die gefüllten Weinblätter, die ihre Mutter zubereitet. Aminas Vater mag die gefüllten Weinblätter ebenfalls. Oder zumindest tut er so. Animas Vater ist ein schlechter Lügner.

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„Das kann ich nicht twittern!“ – LiteraturCamp Heidelberg

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie schon zu den alten Hasen. Erspart wird einem beispielsweise die Running-Gag-Begrüßung: „Hallo! Jeder, der zum ersten Mal auf einem Barcamp ist, muss eine Session anbieten.“

Besucht man zum zweiten Mal ein Barcamp, gehört man irgendwie nicht zu den alten Hasen – denn man weiß, dass die Basisverpflegung kostenlos ist, schleppt aber trotzdem das Survival Kit für einen dreiwöchigen Wildnisaufenthalt mit.

Das LiteraturCamp Heidelberg (#litcamp16) fand am 11. und 12. Juni 2016 in der Alten Feuerwache Heidelberg statt. Wie bei einem Barcamp üblich, werden die Themen der Sessions erst am Tag selbst festgelegt – jeder Teilnehmer darf eine Session anbieten oder auch, in der Hoffnung auf anwesende Experten, eine Session erfragen.

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Vom nationalen Unwohlsein – Ondjaki: Die Durchsichtigen

Es atmet wie ein „lebendiges Wesen“, das Maianga-Gebäude im Herzen Luandas, mit seinen verwinkelten Gängen, den „ins Nirgendwo führenden Türen“ und dem riesigen Loch im Erdgeschoss. Während die Hitze die angolanische Hauptstadt durchdringt, sprudelt es im ersten Stock des Hauses. Das ewige Wasser geborstener Rohre flutet das düstere Stockwerk – „ein Fluss ist das […], nur Fische fehlen noch und Krokodile“, sagt Bewohnerin OmaKunjikise, „und dann heißt es, Jesus sei über das Wasser gelaufen!, einen Scheiß ist er“, sagt der Minister.

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#delicious_german_viza

Assaf Alassaf: Abu Jürgen. Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Im Rahmen seiner Kampagne für das deutsche Visum schwört Abu Rita der argentinischen Fußballmannschaft ab, er lässt das Haus der deutschen Botschaft in Beirut bespitzeln, liest Brecht und gibt eine maßgeschneiderte „schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten“ in Auftrag – was man als Syrer eben so für ein deutsches Visum tut.

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„Die Tauben verstanden das aber nicht.“ – Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Als Mahdi neun Jahr alt ist, fällt sein Vater im Ersten Golfkrieg. Seitdem nennt man Mahdi den Märtyrersohn. In der Schule erhält er als Belohnung in allen Fächern zehn Punkte. Seine Mutter, ganz pragmatisch, kauft mit dem Geldgeschenk der irakischen Regierung eine Wohnung und eröffnet einen kleinen Laden – den nennt sie „Märtyrergemüsegeschäft“.

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„Diese Welt ist ein Wald.“ – Ein Chat von der Flucht

Mein Akku ist gleich leer. Chat von einer Flucht. Mikrotext„Das ist keine Reise, das ist ein Roman“, schreibt Faiz. Da ist er schon mehrere Wochen unterwegs. Eine „furchtbare Reise“ sei es, teilt er Julia im Chat mit. Und auch: „Es ist alles ein Abenteuer oder ein Roman.“

In seiner syrischen Heimat war Faiz Medienaktivist. Nun wird er gesucht, „vom Regime und von ISIS“. Seine Flucht führt ihn aus der Türkei durch Mazedonien und Serbien, dann nach Rumänien. Julia ist Faiz‘ virtuelle Reisebegleiterin. Immer wieder fragt sie ihn, wie sie ihm helfen könne. Sie erlebt die einzelnen Etappen seiner Flucht und immer wieder die Rückschläge. Mehrmals wird Faiz von der Polizei aufgegriffen, landet im Gefängnis: „Ich geh einfach zurück nach Syrien. Ich bin ein Pechvogel. Immer werde ich erwischt.“

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Für Blender und Geheimagenten: Was suchst Du?

Ich werde immer wieder darauf angesprochen, ob es mehr als nur eine Einleitungsphrase für Blender 2.0 gibt.

Was die Welt außerdem ständig von mir wissen möchte: Was sind eigentlich Deine Lieblingssuchanfragen, die SEO-Gott Google in letzter Zeit auf Deinen Blog gelenkt hat? Und könntest Du bitte unbeantwortet gebliebene Suchanfragen beantworten, damit niemand vom Glauben abfällt?

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Martello Tower, Sandycove: Rather bleak in wintertime…


„Rather bleak in wintertime, I should say. Martello you call it?“

Ja, Martello Tower nennt man ihn, den berühmten Schauplatz aus James Joyce‘ Klassiker Ulysses.

Etwas trist sieht er tatsächlich aus, der Martello Tower in Sandycove, in dem Joyce einige Tage im September 1904 lebte:

Martello Tower Sandycove 1

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NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen

Wir brauchen neue NamenNamen gibt es viele in diesem Roman: Da ist die junge Protagonistin Darling, die mit ihren Freunden Bastard, Chipo und Godknows durch die Straßen ihres Ortes zieht. Der Ort trägt den Namen Paradise. Paradise ist eine Blechhüttensiedlung.

Um sich die Zeit zu vertreiben, erfinden Darling und ihre Freunde Spiele, zum Beispiel das Landspiel: „Aber vorher müssen wir uns um die Namen streiten, weil alle bestimmte Länder sein wollen, also alle wollen USA sein und England und Kanada… Keiner will so ein lumpiges Land sein wie Kongo, Somalia oder Irak, wie Sudan, Haiti oder Sri Lanka oder auch das, in dem wir leben.“

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Liza Codys Obdachlosenroman Lady Bag: „Quasseln, quasseln, quasseln und nichts merken.“

London-Literatur Lady BagEine Obdachlose mit Hund versucht, ein Verbrechen in London aufzuklären. Das ist der Plot (um es kurz zu machen) von Lady Bag. Und dennoch habe ich keinen Kriminalroman gelesen.

Gelesen habe ich einen Großstadtroman aus der Perspektive einer Ausgestoßenen. Ihre besten Freunde sind der Rotwein und Hund Elektra. Das war nicht immer so. Erst einmal ihr Vermögen und ihren gut bezahlten Job verloren, geht es – aus der Sicht der Gesellschaft – für sie bergab:

„Sie besorgen dir eine Behelfsunterkunft in einer Vorstadtpension, meilenweit von Sozial- und Arbeitsamt. Du hast kein Geld für den Bus, also brauchst du Stunden, um zu Fuß hinzulaufen, nur um festzustellen, dass das zuständige Büro geschlossen hat.“

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Trackback! danares.mag im Radio

Radio, what’s new?

Trackback: danares.mag im RadioNeu im Radio ist, dass die Betreiberin von danares.mag (eine fleißige Radio- und Podcast-Hörerin) gestern zum ersten Mal hinter das Mikrofon trat und die Welt mit ihrer Meinung belästigen durfte. :-)

Mit der sehr freundlichen Teresa Sickert sprach ich in der Radio-Sendung Trackback über Weltliteratur und Straßenpoesie, die Straßen von London, die coolste Autorin Brasiliens und den Unterschied zwischen Content und Inhalt.

Die liebe Blogger-Kollegin Miss Booleana hatte mich für das Interview vorgeschlagen – und meine Blogger-Vorschläge für die nächste Woche sind die überaus geschätzten Menschen hinter den Blogs von Zeilentiger liest Kesselleben und Gemütliche Sitzsätze. Die großartige Juna im Netz (samt Blog) durfte im Gespräch natürlich nicht unerwähnt bleiben. :-)

Mein Dank gilt übrigens dem pakistanischen Ein-Pfund-Laden im Herzen Londons. Ohne seine famosen Grippe-Tabletten hätte es kein Interview gegeben.

Wie es sich für eine richtige Radio-Sendung gehört, könnt ihr Trackback natürlich auch als Podcast abonnieren.

Die Sendung von gestern mit meinen verschnupften Wortbeiträgen ab Minute 49:05 gibt es hier.


Wie groß sollte unser Aufmerksamkeitskreis sein? Zadie Smiths Erzählung „Die Botschaft von Kambodscha“

London-Literatur_Zadie Smith Botschaft KambodschaIn einer alten Metro-Ausgabe liest Fatou die Geschichte einer Londoner Sklavin. Wenn Fatou ihr eigenes Leben als Haushälterin im Nordwesten von London mit dieser Sklavin vergleicht, dann geht es ihr eigentlich ganz gut.

Sie wurde noch nie von ihren Arbeitgebern verprügelt. (Gut, geohrfeigt schon.) Sie darf sogar das Haus verlassen. Auch die Freiheit versprechende Oyster Card darf sie mitnehmen, wenn sie die Einkäufe der Familie im Londoner Stadtteil Willesden erledigt. Nicht so gut: Ihren Pass musste sie der Familie bei Arbeitsantritt aushändigen – und ihren Lohn bekommt sie auch nicht ausgezahlt, schließlich verursacht Fatou Kosten bei der Nahrungsaufnahme und beim Wasserverbrauch.

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„Das Land ist im Arsch.“ – In Koli Jean Bofanes Roman „Sinusbögen überm Kongo“

Literatur_Sinusbögen überm KongoWie Ameisenheere strömen die Menschenmassen täglich zu Fuß nach Kinshasa, in diese magische Stadt, die mit ihren modernen Hochhäusern Arbeit und Wohlstand verspricht. In dieser „grausamen Königin“ Kinshasa, die sich von den Hoffnungen und Träumen der Kongolesen ernährt, lebt Celio.

Celio, das ehemalige Waisenkind, schlägt sich gerade so durch. Er geht von Haus zu Haus und bittet um Spenden für eine „NGO, die sich mit allem und nichts beschäftigt“. Seine eigentliche Berufung ist die Mathematik – allein die Nachfrage nach Sinuskurven und Hypotenusen fehlt.

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Lektüre überlebt: Jürgen Heimbachs Regionalkrimi „Chagalls Rache“

Heimbach Chagalls RacheVon Axel Hacke stammt der schöne Satz: „Erst wenn der letzte deutsche Lehrer und der letzte deutsche Journalist einen Regionalkrimi geschrieben haben werden, werdet ihr merken, dass man’s auch übertreiben kann.“

Als großer Freund der Kulturindustrie habe ich schon so manchen Protagonisten seufzend, die Lippen zusammen pressend und innerlich fluchend erlebt – warum also, so fragte ich mich, nicht einmal einige Lesestunden mit dem liebsten Kind der Regionalpresse und dem größten Feind des überregionalen Feuilletons verbringen?

Zugegeben, ich war auf der Suche nach etwas richtig Schlechtem, als ich vor dem Regionalkrimi-Sortiment meiner Mainzer Buchhandelsnachbarschaft Bukafski stand: unterirdischer Stil, flache Charaktere und endlos verwickelte Ortsbeschreibungen, um den Text mit möglichst vielen regionalen Sehenswürdigkeiten aufzublähen. Alle meine Vorurteile gegenüber dem Regionalkrimi sollten sich bestätigen.

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„Am Ende war das Wort.“ – Nona Fernández: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho

Literatur Chile Fernández Wasser MapochoEs sind keine schönen Geschichten, die man sich in den Straßen von Santiago de Chile erzählt. Da gibt es den Indigenen Lautaro, dessen Kopf einst von den spanischen Eroberern auf eine Lanze aufgespießt und in den Fluten des Mapocho versenkt wurde. Seit dieser Zeit geistert Lautaro als kopfloser Reiter durch die Stadt.

Und dann gibt es den Teufel höchstpersönlich, der von zahllosen Sklaven die erste feste Brücke der Stadt erbauen ließ, dank der Santiago „die Tentakeln“ ausstreckte und „den Duft des Paradieses unter dem Zement des Fortschritts“ begrub. Ein Mann in Lumpen. In seinem Handkarren schläft eine Frau, ihre Eingeweide hängen heraus. Man hat ihr das Kind aus dem Bauch gerissen. Das ist ihre Geschichte.

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Von gruseligen Ungeheuern und flinken Zwergen im Moor – Mit W.B. Yeats in Sligo

Es ist ein schöner Sommerabend, als der noch junge William Butler Yeats zu einer Wanderung rund um den Lough Gill im County Sligo aufbricht. Viele Jahre später wird er dem See und seiner sagenumwobenen Insel in dem Gedicht The Lake Isle of Innisfree ein literarisches Denkmal setzen:

”I will arise and go now, and go to Innisfree,

And a small cabin build there, of clay and wattles made …

And I shall have some peace there,

For peace comes dropping slow…”

War es die Schönheit der Insel, die den irischen Dichter W.B. Yeats anzog, oder war es vielleicht doch eher die Geschichte von dem Ungeheuer, das dort seit jeher sein Unwesen treiben soll?

Mehr als hundert Jahre nach Yeats’ nächtlicher Exkursion stehen wir an den Ufern des Lough Gill. Und tatsächlich, mit dem leisen Plätschern des Sees sinkt auch um uns herum der Friede herab. Von einem mythischen Ungeheuer fehlt indes jede Spur.

Sligo Lough Gill
Lough Gill

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„Das hier ist die Welt.” – Eliane Brums Fußballgeschichte „Raimundo und der Ball”

Raimundo und der BallIrgendwo im brasilianischen Urwald steht eine geheimnisvolle Truhe, gefüllt mit vergilbten Blättern. Raimundos Urgroßvater hatte sie an jenen Ort mitgebracht, getrieben von den Versprechungen, den Gummibäumen des Urwalds ihre Milch entreißen zu können. Der Inhalt der alten Blätter bleibt seinen Nachfahren verborgen, „denn die Schule hatte als Erste geschlossen, als Gummi fast nur noch so wenig wert war wie ein Mensch”.

An dem Tag, als Raimundos Kindheit endet, zaubert sein Vater noch etwas anderes aus der Truhe. Es ist ein Fußball, den er mit den feierlichen Worten überreicht: „Raimundo, mein Sohn, das hier ist die Welt.”

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„Alle Vögel haben ein glückliches Herz…“ – Mit Peter Pan in den Kensington Gardens

Zwischen dem Londoner Hyde Park und den Kensington Gardens erstreckt sich ein See namens Serpentine. Unzählige Vögel leben hier, und sie sind – ebenso wie Peter Pan – zum Flug bereit.

In J.M Barries Erzählung Peter Pan in Kensington Gardens ist Peter Pan noch ein Baby, gerade einmal sieben Tage alt, doch er hat schon ein ganz konkretes Ziel: „Zurück in die Kensington Gardens“ möchte er. Und so gesellt er sich – nach einer kurzen Zwischenlandung in den Kensington Gardens – zu den Vögeln des Serpentine.

Serpentine-Vögel

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Vom unverschämten Glück, immer eine Pechsträhne zu erwischen – Georges Anglades „Das Lachen Haitis“

Das Lachen HaitisGeschichtsunterricht in Port-au-Prince: „Gegeben sei der Gesamthaushalt Frankreichs in diesem Jahr und ein zum Kapital geschlagener Zins von 12% über hundertfünfzig Jahre (1825-1975). Berechnen Sie, welcher Betrag Haiti eines Tages zusteht. Korrekte Antwort: Die Summe ist so hoch, dass Frankreich zur Begleichung dieser Schulden sein Juwel, den Eiffelturm, versetzen müsste.

Die Haitianer als legitime Erben und Gläubiger des Eiffelturms: Das war schon etwas!“, findet der Erzähler in Georges Anglades Das Lachen Haitis. In neunzig Miniaturen nimmt Anglade den Leser mit auf eine Reise durch Haitis jüngste Geschichte. 

Mit viel Ironie und großer Sympathie schildert Anglade das Leben in der haitianischen Provinz: In Quina, wo sich die Koryphäen ihres Fachs zum Krabbengipfel treffen, wird die Systematik der Krustentiere, die über 5.000 Krabbenarten umfasst, neu geschrieben: Wir taten uns noch weiter hervor und teilten sie feiner in essbare, nicht essbare und tödliche ein. Ein origineller Beitrag von Quina.

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João Paulo Cuenca: Das einzig glückliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall

glueckliches_endeYoshiko ist die perfekte Frau: dunkelbraune Augen, perlweiße Haut, Brustumfang: 92,5 cm. Hergestellt wurde sie im japanischen Unternehmen Luvdoll Inc. Sie ist die teuerste Puppe, die jemals in Japan produziert wurde. Und sie hat nur eine Aufgabe: ihrem Meister Atsuo Okuda zu dienen. Dieser hat nämlich 50 Millionen Yen für seine persönliche Spezialanfertigung gezahlt.

Neben Yoshiko hat Herr Okuda noch eine andere bizarre Leidenschaft, nämlich sein U-Boot. So nennt er seinen Überwachungsapparat aus Kameras, Mikrofonen und angezapften Telefonleitungen, mit dem er ganz Tokio überwacht.

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Magischer Realismus war gestern: Lateinamerika-Literatur im Rückblick

Nachdem danares.mag Anfang März den ersten Blog-Geburtstag feierte (und neuerdings auch in Facebook auf Leser wartet), möchte ich nun das erste öffentliche Lesejahr zur lateinamerikanischen Literatur rekapitulieren.

Wer zeitgenössische Literatur aus Lateinamerika abseits von Verkaufsgaranten wie García Márquez, Vargas Llosa oder Isabel Allende liest, wird feststellen: Lateinamerikanische Literatur ist witzig, unterhaltsam, tiefgründig, manchmal ganz schön brutal, meistens erfreulich kurz und bündig – und sie ist vor allem eines: auf der Höhe der Zeit.

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„Ganz anders als die Mörder aus Büchern und Filmen“ – „Der Pistoleiro“ von Klester Cavalcanti

cover_Der Pistoleiro.inddJúlio ist 17 Jahre alt, als er seinen ersten Mord begeht. Sein Onkel Cícero bittet ihn um diesen Gefallen. Cícero arbeitet als Polizist. Das jedenfalls glaubt seine Familie. In Wahrheit verdient Cícero sein Geld als Auftragsmörder, als so genannter Pistoleiro. Aufgrund seiner Malaria-Erkrankung kann Cícero nicht selbst zur Tat schreiten. „Wenn du den Auftrag nicht erledigst, werde ich umgebracht“, erklärt er seinem Neffen Júlio: „Wenn man das Geld bekommen hat, muss man die Arbeit machen. Sonst wird der Pistoleiro selbst umgebracht.“

Júlios erstes Opfer ist der Fischer Amarelo, der zwei Wochen zuvor ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt hat. Júlio erschießt Amarelo im brasilianischen Regenwald, er schlitzt seinen Bauch auf und wirft ihn in den Fluss, wo die Piranhas von dem frischen Blut angelockt werden. So hatte es ihm Onkel Cícero aufgetragen. Nach der Tat fällt Júlio auf die Knie und spricht zehn Ave Maria und zwanzig Vaterunser. Auch das hatte Cícero ihm geraten. Dann schwört Júlio, dass er nie mehr einen Menschen töten wird. Das ist im August 1971.

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„Bis die Berge auf ihre Kitschpaläste fallen…“ – Gary Victors Haiti-Krimi „Schweinezeiten“

SchweinezeitenInspektor Dieuswalwe Azémar trinkt im Übermaß, er hat eine problematische Beziehung zu Frauen (und Männern) – und er leidet an dem Widerspruch von Recht und Gerechtigkeit. Darin steht Inspektor Azémar aus Haiti seinen literarischen Crime-Noir-Vorgängern also in nichts nach.

Seltener allerdings hat man es bisher in der Kriminalliteratur erlebt, dass sich Menschen über Nacht in Schweine verwandeln. Dies nämlich widerfährt Azémars Ex-Kollegen Colin, der zwei Jahre zuvor mittels politischer Beziehungen einen besser bezahlten Posten antrat und – nach Auffassung von Azémar – damit gleichzeitig seine Ideale aufgab.

Gelegentlich denkt Azémar darüber nach, es seinen korrupten Polizei-Kollegen gleichzutun: „Schließlich haben sie doch alle ihre Seele verkauft. Für einen Moment des kurzlebigen Glücks, bis die Berge auf ihre Villen und ihre Kitschpaläste fallen.“

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Richard III. trifft Doctor Who: Buch und Podcast „Viva Britannia“

Samuel Henry James. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Spross von William und Kate diesen schönen Namen getragen. Kein Wettbüro kreuzte Anfang Juli 2013 in London meinen Weg. Glücklicherweise. Aus Samuel Henry James wurde nämlich wenige Wochen später George Alexander Louis.

inselHätte ich damals schon den Podcast Viva Britannia gekannt, wäre meine Wette vermutlich etwas konservativer ausgefallen. Noch komplexer als befürchtet sind nämlich die Gesetze im Hause Windsor.

Dank der Podcast-Episode Das Königshaus weiß ich nun außerdem, dass noch keine Regelung für jenen Fall getroffen ist, dass sich der kleine George irgendwann in einen Mann verlieben sollte. (Meine Wette geht übrigens auf den wenige Monate jüngeren Rafaël aus dem Hause Grimaldi.)

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Fußballträume und Männertragödien in der Atacama-Wüste: Hernán Rivera Leteliers Roman „Der Traumkicker“

TraumkickerIn der chilenischen Salpeter-Siedlung Coya Sur stehen die Zeichen auf Sturm: Das Lokalderby gegen den Erzrivalen aus dem Nachbarort María Elena steht bevor, und dieses Mal – da sind sich alle einig – will man nicht gegen die „Staubfresser“ verlieren. Beim letzten Fußball-Match gegen María Elena habe man, so Dorf-Sheriff Concha, „gespielt wie noch nie und verloren wie immer“.

Die Lage scheint aussichtslos, doch dann taucht plötzlich ein Fremder in der Siedlung auf, der sich als Virtuose am Ball erweist. Don Celestino Rojas, der frömmelnde Präsident der Fußball-Vereinigung, ist überzeugt: „Der Mann ist der Messias.“

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Cast a cold eye on life, on death – An Yeats‘ Grab

Es sind keine zehn Kilometer vom irischen Sligo bis zum Dörfchen Drumcliff. Das sagt der Reiseführer. Abends im Pub erfahren wir Genaueres: Wir müssten, so der freundlich-zerknautschte ältere Herr, dem Tafelberg Ben Bulben folgen, wo – by the way – auch das Tor zur Feenwelt sei.

In einem irischen Pub wird jede Geschichte wahr. Und so folgen wir am nächsten Tag dem dichten Wolkenschleier, den die Feen um Ben Bulben legen.

Yeats Drumcliffe Churchyard
Drumcliff Churchyard, im Hintergrund Ben Bulben

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alba. lateinamerika lesen | Zeitschrift für lateinamerikanische Literatur

alba lateinamerika lesen 04_Cover„Aus Geld gedeiht nur Müll. Müll und Scheiße.“  So spricht Erasmo – und er muss es wissen, denn Erasmo arbeitet bei der Müllabfuhr. Auf der Rangliste der Elenden nimmt er jedoch nicht den letzten Platz ein, denn dies sind die Menschen auf den Müllhalden, die ebenfalls auf der Suche nach dem kostbaren Gut sind. Die Reichen erkennt man unterdessen an ihrer Scheiße: „Konzentrierte Kacke. Kommt vom guten Essen.“

Mit Ana Paula Maia findet der Müllmann Eingang in die brasilianische Literatur, und zwar als Protagonist in Die Drecksarbeit der Anderen. Dass wir dieses Ereignis in Deutschland relativ zeitnah in einem Auszug miterleben dürfen, haben wir Wanda Jakob zu verdanken, die bereits Ana Paula Maias Roman Krieg der Bastarde so wundervoll aus dem brasilianischen Portugiesisch ins Deutsche übertragen hat. Vor allem ist es aber ein Verdienst von alba. lateinamerika lesen.

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Jahresabschlusslektüren, eins auf die Mütze & ein Lieblingssatz

Seit einigen Monaten bereichern die famosen Tweets von @junaimnetz meine Timeline in Twitter. Nun reichte sie mir, ganz überraschend, ein Buchstöckchen (Und überhaupt! Literatur!) weiter, das ich gerne aufnehme.

Welches Buch liest Du momentan?

Derzeit lese ich den Roman The Barbarian Nurseries von Héctor Tobar, der bald auch auf Deutsch (In den Häusern der Barbaren) als Taschenbuch-Ausgabe erhältlich sein wird. Chronik eines angekündigten Todes von Gabriel García Márquez in der spanischsprachigen Reclam-Ausgabe ist seit November meine On-Off-Lektüre. Außerdem begleitet mich momentan der Roman Rebecca von Daphne du Maurier.

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