„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo

Am 26. Februar 1885 endet die Kongo-Konferenz. Der belgische König Leopold II. ist nun Besitzer eines afrikanischen Staates: „Eine riesige Tasche mitten in Afrika. Nur für Leopold.“ Und schon strömen sie aus, die kleinen Beamten, die vermeintlichen Experten, die Hasardeure, sie alle im Auftrag Leopolds, „und wohin wir auch kamen, gab es neues Land, wohin wir auch kamen, hatten die Völker seit Jahrhunderten für uns gespart; sie hatten alles gespart: ihren Kautschuk, ihren Zucker, ihren Kaffee, ihre Kraft, ihre Frauen, ihr Leben.“

Morton Stanley, „ein bisschen Schmierenkomödiant“, soll unterdessen das Kongobecken zugänglich machen. „Da Mister Stanley ihn entdeckt hat, den Kongo, wird er wohl auch wissen, wo er endet.“ Stanley raubt so viel Land, wie er kann: „So was hat man noch nie erlebt. Er lässt einen Haufen Papierkram von afrikanischen Häuptlingen unterschreiben, die nichts davon verstehen. Hier! Eure Unterschrift! [Und] wenn sie nicht unterschreiben, werden sie abgemurkst.“

Über all dem steht König Leopold, „wie der Zauberer von Oz“. Und wie Stanley tut auch Charles Lemaire im Kongo seine Pflicht, „seine schreckliche kleine Pflicht“. Weiterlesen „„Ein klitzekleines Schaudern an der Oberfläche der Welt.“ – Éric Vuillard: Kongo“

Vom nationalen Unwohlsein – Ondjaki: Die Durchsichtigen

Es atmet wie ein „lebendiges Wesen“, das Maianga-Gebäude im Herzen Luandas, mit seinen verwinkelten Gängen, den „ins Nirgendwo führenden Türen“ und dem riesigen Loch im Erdgeschoss. Während die Hitze die angolanische Hauptstadt durchdringt, sprudelt es im ersten Stock des Hauses. Das ewige Wasser geborstener Rohre flutet das düstere Stockwerk – „ein Fluss ist das […], nur Fische fehlen noch und Krokodile“, sagt Bewohnerin OmaKunjikise, „und dann heißt es, Jesus sei über das Wasser gelaufen!, einen Scheiß ist er“, sagt der Minister.

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#delicious_german_viza

Assaf Alassaf: Abu Jürgen. Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Im Rahmen seiner Kampagne für das deutsche Visum schwört Abu Rita der argentinischen Fußballmannschaft ab, er lässt das Haus der deutschen Botschaft in Beirut bespitzeln, liest Brecht und gibt eine maßgeschneiderte „schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten“ in Auftrag – was man als Syrer eben so für ein deutsches Visum tut.

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„Die Tauben verstanden das aber nicht.“ – Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Als Mahdi neun Jahr alt ist, fällt sein Vater im Ersten Golfkrieg. Seitdem nennt man Mahdi den Märtyrersohn. In der Schule erhält er als Belohnung in allen Fächern zehn Punkte. Seine Mutter, ganz pragmatisch, kauft mit dem Geldgeschenk der irakischen Regierung eine Wohnung und eröffnet einen kleinen Laden – den nennt sie „Märtyrergemüsegeschäft“.

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NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen

Wir brauchen neue NamenNamen gibt es viele in diesem Roman: Da ist die junge Protagonistin Darling, die mit ihren Freunden Bastard, Chipo und Godknows durch die Straßen ihres Ortes zieht. Der Ort trägt den Namen Paradise. Paradise ist eine Blechhüttensiedlung.

Um sich die Zeit zu vertreiben, erfinden Darling und ihre Freunde Spiele, zum Beispiel das Landspiel: „Aber vorher müssen wir uns um die Namen streiten, weil alle bestimmte Länder sein wollen, also alle wollen USA sein und England und Kanada… Keiner will so ein lumpiges Land sein wie Kongo, Somalia oder Irak, wie Sudan, Haiti oder Sri Lanka oder auch das, in dem wir leben.“

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Wie groß sollte unser Aufmerksamkeitskreis sein? Zadie Smiths Erzählung „Die Botschaft von Kambodscha“

London-Literatur_Zadie Smith Botschaft KambodschaIn einer alten Metro-Ausgabe liest Fatou die Geschichte einer Londoner Sklavin. Wenn Fatou ihr eigenes Leben als Haushälterin im Nordwesten von London mit dieser Sklavin vergleicht, dann geht es ihr eigentlich ganz gut.

Sie wurde noch nie von ihren Arbeitgebern verprügelt. (Gut, geohrfeigt schon.) Sie darf sogar das Haus verlassen. Auch die Freiheit versprechende Oyster Card darf sie mitnehmen, wenn sie die Einkäufe der Familie im Londoner Stadtteil Willesden erledigt. Nicht so gut: Ihren Pass musste sie der Familie bei Arbeitsantritt aushändigen – und ihren Lohn bekommt sie auch nicht ausgezahlt, schließlich verursacht Fatou Kosten bei der Nahrungsaufnahme und beim Wasserverbrauch.

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„Das Land ist im Arsch.“ – In Koli Jean Bofanes Roman „Sinusbögen überm Kongo“

Literatur_Sinusbögen überm KongoWie Ameisenheere strömen die Menschenmassen täglich zu Fuß nach Kinshasa, in diese magische Stadt, die mit ihren modernen Hochhäusern Arbeit und Wohlstand verspricht. In dieser „grausamen Königin“ Kinshasa, die sich von den Hoffnungen und Träumen der Kongolesen ernährt, lebt Celio.

Celio, das ehemalige Waisenkind, schlägt sich gerade so durch. Er geht von Haus zu Haus und bittet um Spenden für eine „NGO, die sich mit allem und nichts beschäftigt“. Seine eigentliche Berufung ist die Mathematik – allein die Nachfrage nach Sinuskurven und Hypotenusen fehlt.

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„Am Ende war das Wort.“ – Nona Fernández: Die Toten im trüben Wasser des Mapocho

Literatur Chile Fernández Wasser MapochoEs sind keine schönen Geschichten, die man sich in den Straßen von Santiago de Chile erzählt. Da gibt es den Indigenen Lautaro, dessen Kopf einst von den spanischen Eroberern auf eine Lanze aufgespießt und in den Fluten des Mapocho versenkt wurde. Seit dieser Zeit geistert Lautaro als kopfloser Reiter durch die Stadt.

Und dann gibt es den Teufel höchstpersönlich, der von zahllosen Sklaven die erste feste Brücke der Stadt erbauen ließ, dank der Santiago „die Tentakeln“ ausstreckte und „den Duft des Paradieses unter dem Zement des Fortschritts“ begrub. Ein Mann in Lumpen. In seinem Handkarren schläft eine Frau, ihre Eingeweide hängen heraus. Man hat ihr das Kind aus dem Bauch gerissen. Das ist ihre Geschichte.

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Die Mainzer Republik, oder: War da was? – Jörg Schweigards „Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein”

Mainzer RepublikSchwer vorzustellen, aber es gab eine Zeit, in der es Schriftsteller und Gelehrte aus aller Welt nach Mainz am Rhein zog. Freimaurer, Illuminaten, Lesegesellschaften, Landsmannschaften – es war einiges los in der Stadt. Im Jahr 1789 erreichte zudem der Pariser Ruf nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit den Rhein – und die Toleranz des Mainzer Kurfürsten Karl Friedrich von Erthal seine Grenzen. Denn wo früher hinter verschlossenen Türen debattiert wurde, wurde nun öffentlich protestiert.
Jörg Schweigard berichtet in Die Liebe zur Freiheit ruft uns an den Rhein über die bewegten Jahre vor und während der kurzlebigen Mainzer Republik, die von Oktober 1792 bis Juli 1793 währte. Er stellt die zentralen Akteure der Zeit sowie ihre Organisationsformen vor, die schließlich zum ersten demokratisch gewählten Parlament auf deutschem Boden führten.

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„Das hier ist die Welt.” – Eliane Brums Fußballgeschichte „Raimundo und der Ball”

Raimundo und der BallIrgendwo im brasilianischen Urwald steht eine geheimnisvolle Truhe, gefüllt mit vergilbten Blättern. Raimundos Urgroßvater hatte sie an jenen Ort mitgebracht, getrieben von den Versprechungen, den Gummibäumen des Urwalds ihre Milch entreißen zu können. Der Inhalt der alten Blätter bleibt seinen Nachfahren verborgen, „denn die Schule hatte als Erste geschlossen, als Gummi fast nur noch so wenig wert war wie ein Mensch”.

An dem Tag, als Raimundos Kindheit endet, zaubert sein Vater noch etwas anderes aus der Truhe. Es ist ein Fußball, den er mit den feierlichen Worten überreicht: „Raimundo, mein Sohn, das hier ist die Welt.”

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Vom unverschämten Glück, immer eine Pechsträhne zu erwischen – Georges Anglades „Das Lachen Haitis“

Das Lachen HaitisGeschichtsunterricht in Port-au-Prince: „Gegeben sei der Gesamthaushalt Frankreichs in diesem Jahr und ein zum Kapital geschlagener Zins von 12% über hundertfünfzig Jahre (1825-1975). Berechnen Sie, welcher Betrag Haiti eines Tages zusteht. Korrekte Antwort: Die Summe ist so hoch, dass Frankreich zur Begleichung dieser Schulden sein Juwel, den Eiffelturm, versetzen müsste.

Die Haitianer als legitime Erben und Gläubiger des Eiffelturms: Das war schon etwas!“, findet der Erzähler in Georges Anglades Das Lachen Haitis. In neunzig Miniaturen nimmt Anglade den Leser mit auf eine Reise durch Haitis jüngste Geschichte. 

Mit viel Ironie und großer Sympathie schildert Anglade das Leben in der haitianischen Provinz: In Quina, wo sich die Koryphäen ihres Fachs zum Krabbengipfel treffen, wird die Systematik der Krustentiere, die über 5.000 Krabbenarten umfasst, neu geschrieben: Wir taten uns noch weiter hervor und teilten sie feiner in essbare, nicht essbare und tödliche ein. Ein origineller Beitrag von Quina.

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João Paulo Cuenca: Das einzig glückliche Ende einer Liebesgeschichte ist ein Unfall

glueckliches_endeYoshiko ist die perfekte Frau: dunkelbraune Augen, perlweiße Haut, Brustumfang: 92,5 cm. Hergestellt wurde sie im japanischen Unternehmen Luvdoll Inc. Sie ist die teuerste Puppe, die jemals in Japan produziert wurde. Und sie hat nur eine Aufgabe: ihrem Meister Atsuo Okuda zu dienen. Dieser hat nämlich 50 Millionen Yen für seine persönliche Spezialanfertigung gezahlt.

Neben Yoshiko hat Herr Okuda noch eine andere bizarre Leidenschaft, nämlich sein U-Boot. So nennt er seinen Überwachungsapparat aus Kameras, Mikrofonen und angezapften Telefonleitungen, mit dem er ganz Tokio überwacht.

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Magischer Realismus war gestern: Lateinamerika-Literatur im Rückblick

Nachdem danares.mag Anfang März den ersten Blog-Geburtstag feierte (und neuerdings auch in Facebook auf Leser wartet), möchte ich nun das erste öffentliche Lesejahr zur lateinamerikanischen Literatur rekapitulieren.

Wer zeitgenössische Literatur aus Lateinamerika abseits von Verkaufsgaranten wie García Márquez, Vargas Llosa oder Isabel Allende liest, wird feststellen: Lateinamerikanische Literatur ist witzig, unterhaltsam, tiefgründig, manchmal ganz schön brutal, meistens erfreulich kurz und bündig – und sie ist vor allem eines: auf der Höhe der Zeit.

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„Ganz anders als die Mörder aus Büchern und Filmen“ – „Der Pistoleiro“ von Klester Cavalcanti

cover_Der Pistoleiro.inddJúlio ist 17 Jahre alt, als er seinen ersten Mord begeht. Sein Onkel Cícero bittet ihn um diesen Gefallen. Cícero arbeitet als Polizist. Das jedenfalls glaubt seine Familie. In Wahrheit verdient Cícero sein Geld als Auftragsmörder, als so genannter Pistoleiro. Aufgrund seiner Malaria-Erkrankung kann Cícero nicht selbst zur Tat schreiten. „Wenn du den Auftrag nicht erledigst, werde ich umgebracht“, erklärt er seinem Neffen Júlio: „Wenn man das Geld bekommen hat, muss man die Arbeit machen. Sonst wird der Pistoleiro selbst umgebracht.“

Júlios erstes Opfer ist der Fischer Amarelo, der zwei Wochen zuvor ein 13-jähriges Mädchen vergewaltigt hat. Júlio erschießt Amarelo im brasilianischen Regenwald, er schlitzt seinen Bauch auf und wirft ihn in den Fluss, wo die Piranhas von dem frischen Blut angelockt werden. So hatte es ihm Onkel Cícero aufgetragen. Nach der Tat fällt Júlio auf die Knie und spricht zehn Ave Maria und zwanzig Vaterunser. Auch das hatte Cícero ihm geraten. Dann schwört Júlio, dass er nie mehr einen Menschen töten wird. Das ist im August 1971.

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„Bis die Berge auf ihre Kitschpaläste fallen…“ – Gary Victors Haiti-Krimi „Schweinezeiten“

SchweinezeitenInspektor Dieuswalwe Azémar trinkt im Übermaß, er hat eine problematische Beziehung zu Frauen (und Männern) – und er leidet an dem Widerspruch von Recht und Gerechtigkeit. Darin steht Inspektor Azémar aus Haiti seinen literarischen Crime-Noir-Vorgängern also in nichts nach.

Seltener allerdings hat man es bisher in der Kriminalliteratur erlebt, dass sich Menschen über Nacht in Schweine verwandeln. Dies nämlich widerfährt Azémars Ex-Kollegen Colin, der zwei Jahre zuvor mittels politischer Beziehungen einen besser bezahlten Posten antrat und – nach Auffassung von Azémar – damit gleichzeitig seine Ideale aufgab.

Gelegentlich denkt Azémar darüber nach, es seinen korrupten Polizei-Kollegen gleichzutun: „Schließlich haben sie doch alle ihre Seele verkauft. Für einen Moment des kurzlebigen Glücks, bis die Berge auf ihre Villen und ihre Kitschpaläste fallen.“

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Fußballträume und Männertragödien in der Atacama-Wüste: Hernán Rivera Leteliers Roman „Der Traumkicker“

TraumkickerIn der chilenischen Salpeter-Siedlung Coya Sur stehen die Zeichen auf Sturm: Das Lokalderby gegen den Erzrivalen aus dem Nachbarort María Elena steht bevor, und dieses Mal – da sind sich alle einig – will man nicht gegen die „Staubfresser“ verlieren. Beim letzten Fußball-Match gegen María Elena habe man, so Dorf-Sheriff Concha, „gespielt wie noch nie und verloren wie immer“.

Die Lage scheint aussichtslos, doch dann taucht plötzlich ein Fremder in der Siedlung auf, der sich als Virtuose am Ball erweist. Don Celestino Rojas, der frömmelnde Präsident der Fußball-Vereinigung, ist überzeugt: „Der Mann ist der Messias.“

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alba. lateinamerika lesen | Zeitschrift für lateinamerikanische Literatur

alba lateinamerika lesen 04_Cover„Aus Geld gedeiht nur Müll. Müll und Scheiße.“  So spricht Erasmo – und er muss es wissen, denn Erasmo arbeitet bei der Müllabfuhr. Auf der Rangliste der Elenden nimmt er jedoch nicht den letzten Platz ein, denn dies sind die Menschen auf den Müllhalden, die ebenfalls auf der Suche nach dem kostbaren Gut sind. Die Reichen erkennt man unterdessen an ihrer Scheiße: „Konzentrierte Kacke. Kommt vom guten Essen.“

Mit Ana Paula Maia findet der Müllmann Eingang in die brasilianische Literatur, und zwar als Protagonist in Die Drecksarbeit der Anderen. Dass wir dieses Ereignis in Deutschland relativ zeitnah in einem Auszug miterleben dürfen, haben wir Wanda Jakob zu verdanken, die bereits Ana Paula Maias Roman Krieg der Bastarde so wundervoll aus dem brasilianischen Portugiesisch ins Deutsche übertragen hat. Vor allem ist es aber ein Verdienst von alba. lateinamerika lesen.

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Memo Anjel: Das meschuggene Jahr | Literatur aus Kolumbien

Memo Aniel_Das meschuggene JahrNächstes Jahr in Jerusalem! So lautet der bekannte Wunsch beim jüdischen Pessach-Fest. Für die jüdische Großfamilie in Memo Anjels Roman Das meschuggene Jahr soll dieser Wunsch endlich in Erfüllung gehen, denn die Reise aus dem kolumbianischen Medellín nach Jerusalem scheiterte in der Vergangenheit stets an Geldmangel.

Die notwendigen finanziellen Mittel erhofft sich der Vater von der Erfindung seines Lebens: einer wundersamen Brotfabrikmaschine, die alle Prozesse einer Brotfabrik in sich vereint – entwickelt auf Grundlage des zweiten Newton’schen Gesetzes, der Kaballah und der schönen Literatur.

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Edgardo Cozarinsky: Man nennt mich flatterhaft und was weiß ich… | Literatur aus Argentinien

Cozarinsky_Man nennt michAm Anfang war ein jiddisches Theaterstück. Zugegeben, ein schlechtes Revuestück, das zudem den reißerischen Titel Der moldawische Zuhälter trägt. Es erzählt die Geschichte von Taube, die gemeinsam mit anderen osteuropäischen Mädchen unter falschen Versprechungen nach Argentinien gelockt wird.

In der Neuen Welt erwartet sie ein Leben im Bordell. Wer nicht spurt, wird bestraft. Doch in einem Revuestück lässt der Kitsch nicht lange auf sich warten: Der Zuhälter Méndele wandelt sich vom Bösen zum Guten, rettet Taube aus ihrer misslichen Lage und beide tanzen, begleitet von Tango-Rhythmen, einem besseren Leben entgegen.

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João Paulo Cuenca: Mastroianni. Ein Tag | Literatur aus Brasilien

a1_titelAls Buck Mulligan zu Beginn des Ulysses das Geschützlager des Martello Tower ersteigt, weht eine milde Morgenluft. Zu dieser Tageszeit liegt Tomás, Protagonist in Cuencas Roman Mastroianni. Ein Tag noch im Bett. Nach seinem Weckruf um 10:32 Uhr folgt die Schilderung eines einzigen Tages in einer Großstadt, in einem Roman mit 18 Episoden.

Wenn der Leser dies zu kennen glaubt, dann geht es ihm nicht anders als den Protagonisten: „Mir kommt das alles hier wie vorgestern vor, meint Tómas zu Pedro, während sie durch das namentlich nicht genannte Rio de Janeiro flanieren. Sie kehren bei einem Coiffeur namens Péricles ein, und in der Bar werden sie von Cícero bedient.  Dabei besteht ihr Tagwerk allein im Müßiggang:

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Die Zauberberge Brasiliens: Über die Romane „Krieg der Bastarde“ und „Leichendieb“

ZEITNAHAnlässlich der Frankfurter Buchmesse durfte ich
für das Kulturmagazin Zeitnah die beiden sehr lesenswerten Romane Leichendieb von Patrícia Melo und Krieg der Bastarde von Ana Paula Maia vorstellen.

Patrícia Melo ist Gewinnerin des diesjährigen LiBeraturpreises, der sich ausschließlich an schreibende Frauen richtet. Ana Paula Maias in jeder Hinsicht spektakulärer Roman Krieg der Bastarde belegt auf der aktuellen Weltempfänger-Bestenliste den dritten Platz.

Hier geht es zum Beitrag Die Zauberberge Brasiliens. Über die Romane «Krieg der Bastarde» und «Leichendieb».

„Krieg der Bastarde“ in Mainz: Lesung mit Ana Paula Maia

Mit Krieg der Bastarde habe sie ihre literarische Stimme gefunden, sagt Ana Paula Maia. Und was für eine Stimme das ist!

Im Mainzer Lomo stellte Ana Paula Maia gestern Abend gemeinsam mit ihrer deutschen Übersetzerin Wanda Jakob einen Roman vor, der in Brasilien bereits 2007 auf den Markt kam und erst vor wenigen Wochen auf Deutsch beim A1 Verlag erschienen ist.

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Ana Paula Maia: Krieg der Bastarde | Literatur aus Brasilien

Krieg der BastardeDer Zauberberg in Brasilien: das ist ein Häufchen Koks, von dem man runterkommen muss, bevor man die Ware in einem Beichtstuhl an eine einbeinige Regisseurin verkauft – freilich nicht, ohne vorher den Priester mit neuem Kirchenmobiliar bestochen zu haben.

Es ist eine ganze Sporttasche voller Kokain, die Amadeu aus der Chefetage einer Porno-Produktionsfirma gestohlen hat. Er will die Drogen zu Geld machen und damit die Schulden seiner Freundin Gina bezahlen. Der Diebstahl bleibt nicht unbemerkt.

Die beiden Ganoven Edgar und Pablo werden auf Amadeu angesetzt. Sie durchforsten die Stadt nach ihm. Auch Gina sucht Amadeu. Alle suchen Amadeu – nicht wissend, dass dieser bei einem tragikomischen Unfall längst sein Leben verloren hat.

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Bernardo Carvalho: Neun Nächte | Literatur aus Brasilien

Carvalho_Neun NächteIm Jahr 1939 bricht der US-amerikanische Anthropologe Buell Quain zum Stamm der Krahô im brasilianischen Urwald auf. Wenige Monate später ist er tot. Selbstmord – aufgehängt an einem Baum, mit aufgeschnittenen Adern.

Sechzig Jahre später begibt sich ein brasilianischer Journalist auf die Spurensuche, um das Geheimnis um den mysteriösen Tod von Buell Quain zu lösen: Warum nahm er sich auf grausame Art und Weise das Leben? Hatte Buell Quain etwas zu verbergen oder wollte er mit seinem Selbstmord die Indigenen schützen?

Bei seinen Recherchen stößt der Journalist auf die Aufzeichnungen von Manoel Perna, dem Buell Quain in neun Nächten einen tiefen Einblick in sein Seelenleben gewährte.

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Sergio Olguín: Zurück nach Lanús | Literatur aus Argentinien

Olguín_Zurück nach LanúsLanús, ein Vorort von Buenos Aires: Adrián verbringt seine Kindheit mit Freunden auf der Straße. Sie unterhalten sich über Superhelden, lesen Comics und wehren sich gegen die Angriffe der übermächtigen Jungs aus der Tincho-Familie.

Es ist aber vor allem die Liebe zum Fußball, die Adrián, Francisco und die anderen Jungs vereint: „Was Freundschaft war, was ich im Leben tun oder lassen sollte, was wichtig und was banal war, all das lernte ich beim Fußballspielen.“

Alle sind sie Fans von Independiente, nur Adrián hält zu Boca. Gemeinsam suchen sie das Haus, in dem Diego Maradona aufwuchs, um ihm für die zwei Tore gegen England zu danken – oder sie stoßen zusammen in unbekannte Regionen von Lanús vor, um ihren Fußball an einer Tankstelle aufzupumpen.

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„Der Mensch ist schwerer als die Welt“: Der Señor Balboa von Jaime Saenz | Literatur aus Bolivien

„Der Señor Balboa, der haufenweise Geld hatte, aber dennoch erst an dritter Stelle nach dem Hund kam, war ein wortkarger Mann. Und wenn er Lust hatte zu lachen, ging er auf die Straße.“

jaime saenzSeñor Balboa ist ein reicher Mann, doch er leidet. Er leidet unter dem Leben und vor allem unter seiner Frau. Denn diese quält ihn, wann immer es nur geht. Glücklicherweise hat Señor Balboa aber auch Freunde. Da gibt es zum Beispiel Doktor Zuleta, genannt der Lahme, ein Apotheker und Theosoph mit Hang zum Pfirsichlikör. Mit ihm teilt er seinen Kummer.

Trost findet Señor Balboa auch bei seiner Geliebten Vidalita, die über die einzigartige Gabe verfügt, „Gepfeffertes ohne Pfeffer“ zu machen. Und wenn Señor Balboa ihr von den Quälereien seiner Ehefrau berichtet, dann „übertrieb er ein wenig, doch er sagte die Wahrheit”.

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