Schnauzbärtiges in Zeiten der Diktatur – Nona Fernández: Twilight Zone

„Though his blood still cries from the ground, it runs like a river, runs to the sea“, heißt es in dem U2-Song One Tree Hill aus dem Jahr 1987. Die Rede ist von Víctor Jara, dem chilenischen Sänger, der unmittelbar nach dem Militärputsch durch Pinochet mit tausenden anderen Menschen in das Estadio Chile verschleppt, gefoltert und ermordet wurde. An Víctor Jaras Körper fanden sich später Verbrennungen durch Zigaretten, über 40 Schusswunden, seine Finger waren gebrochen, seine Zunge zerschnitten.

Wer waren, wer sind die Menschen, die foltern, morden, Leichen verschwinden lassen?

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„San s’net tierisch?“ – Hertha Paulis Erinnerungen, featuring Ausbürgerungen, Austrofaschismus und den Engel von Marseille

„Du musst jetzt rasch fort“, sagt Hertha Pauli im Wiener Café Herrendorf zu Walter Mehring. „Und du?“, fragt Mehring. „Bei uns ist es doch etwas anderes anderes. Wir müssen am Sonntag wählen“, entgegnet Hertha Pauli.

Für diesen Sonntag, den 13. März 1938, hat der österreichische Bundeskanzler Schuschnigg eine Volksbefragung angesetzt – für oder gegen ein unabhängiges Österreich. Zu der Volksbefragung wird es nicht mehr kommen. Hitler-Deutschland mobilisiert seine Truppen gegen Österreich. Während die ersten Bomber am Wiener Himmel auftauchen, packt Walter Mehring hastig seine Bücher zusammen, Hertha Pauli und ihr Kollege Carli verstecken die gefährlichsten Manuskripte ihrer Literaturagentur im Garten.

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Keine Alternative

Das alles ist nicht neu. Politiker*innen und Fans der AfD treffen sich mit anderen rechtsextremen Personen oder „Vertretern“ der Neuen Rechten. Im versucht Geheimen oder öffentlich auf der Straße (remember Chemnitz) oder zum Interview, gerne auch im gesichert rechtsextremen Magazin Compact. AfD, IB, Neue Stärke, Dritter Weg, Die Heimat, Kubitschek, die so genannte WerteUnion. Man kennt sich.

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Rupert Kutzner 2024

Dr. Otto Klenk „hat an sich nichts gegen Fremde“. Er mag halt lieber einheimisches Essen. Klenk denkt nicht daran, „sich auffressen zu lassen von einer fremden Kultur“. Es sind bald „mehr Fremde da als Einheimische“. Da, schon wieder ein Norddeutscher. Er muss eine Statistik einsehen, wie viele Nichtbayern sich hier „eingenistet haben“. Und außerdem ist er für eine „volkstümliche Justizpolitik“.

Rupert Kutzner mit der „höckerigen Nase“ geht nicht mehr seinem erlernten Beruf nach, sondern betätigt sich als Agitator einer rechtsextremen Partei, deren Programm sich mit einigen „romantischen Fragen“ beschäftigt. Zum Beispiel wird einhundertachtziggradwendig darüber spekuliert, ob Juden „den Weltkrieg angezettelt“ hätten: „Alle Dinge werden gut und renken sich ein, sowie man nur die Parasiten ausgeschwefelt“ habe. Kurzum: „Die Kunde von dem beredten Rupert Kutzner, der genial einfache Mittel gefunden hatte, das öffentliche Leben zu säubern und auf gesunde Beine zu stellen“, verbreitet sich.

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Neulich in der Buchhandlung. Das wüsst‘ ich aber!

Telefon klingelt.

Buchhändlerin: „Einszweidrei-Buchhandlung, guten Tag!“

Telefon: „Bla bla bla bla bla bla bla?“

Buchhändlerin: „Das haben wir leider nicht vorrätig. Ich kann es Ihnen aber gerne bestellen.“

Telefon: „Blabla.“

Buchhändlerin: „Wie, sagten Sie, ist der Titel?“

Telefon: „Bla bla bla.“

Buchhändlerin: „Wie?“

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„Wir müssen uns wie richtige Verbrecher benehmen“ – Lisa Fittko und Varian Fry: Fluchthilfe 1940/1941

„Hoffentlich komme ich nicht ungelegen“, sagt Walter Benjamin höflich zu Lisa Fittko, aber er habe erfahren, dass sie ihn „über die Grenze nach Spanien“ bringen könne.

September 1940. Der Süden Frankreichs ist noch nicht von den Deutschen besetzt. „Alles drängte nach Marseille“, schreibt Lisa Fittko. „Die Stadt war voll gepfropft mit Flüchtlingen, darunter Scharen von deutschen Emigranten. Der große Hafen – vielleicht war dort ein Ausweg aus der Falle.“ Wie unzählige andere Menschen ist Benjamin nach Marseille geflohen, um von dort ein sicheres Exilland zu erreichen. Kurz zuvor war sein erster Fluchtversuch – als Matrose verkleidet – gescheitert.

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„Wer umfällt, ist mein Feind“ – Victoria Wolff: Gast in der Heimat

Eine Kleinstadt in Württemberg: Die protestantische Claudia Dortenbach und der jüdische Helmuth Martell heiraten, bekommen zwei Kinder. Trautes Heim, Glück allein. Protagonistin Claudia ist ganz im Privaten verhaftet, im Alltag der großbürgerlichen Familie. Es sind die letzten Jahre der Weimarer Republik. Die Politik, der Antisemitismus, die Vorboten der nationalsozialistischen Terrorherrschaft finden kaum Erwähnung. Es gibt „die Welt draußen“, in der „nebenher allerlei“ läuft, „wir aber gewahrten nur unseren eigenen Bezirk“.

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Adas Raum: „In Europa wissen wir, was Kunst ist“

Guilherme Fernandes Zarco, ein „schlechtgelaunter, weil vor zwei Jahren in Konkurs gegangener portugiesischer Kaufmann“, betritt im Jahr 1459 westafrikanischen Boden. Er ist mit der São Cristóvão an der so genannten Goldküste gelandet, bei der Siedlung Totope nahe Ada im heutigen Ghana. Der Mann leidet sehr schlimm, die Hitze macht ihm zu schaffen, die Strecke vom Schiff zur Küste musste er schwimmen, seine Haut warnt ihn, doch er „muss“ hier sein, denn er braucht unbedingt Geld. Guilherme, seine europäischen Schiffskameraden sowie Kapitän Gomes (der aus „gesundheitlichen Gründen“ lieber an Bord bleibt) sind auf der Suche nach dem vermögenden Mansa Uli II., dem König von Afrika, denn Afrika ist bekanntlich ein Land.

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Partisaninnen, Dichter und ein Knall in der Luft – Jüdischer Widerstand in Wilna

Es ist ein Herbstabend, die Menschen flanieren durch die Straßen der Stadt. Auch Witke Kempner ist im Menschenstrom unterwegs. Bei einem Transformatorenkasten bleibt sie stehen. Der Kasten ist mit Ölfarbe gestrichen. Magnete halten hier nicht gut. Sie kratzt an einer Stelle die Farbe mit den Fingernägeln ab. Dann macht es Klack und die magnetische Haftmine ist platziert. Einige Straßen weiter ist Chaja Schapira in gleicher Weise tätig. An vier Elektrokästen haften nun Minen. Mattis Levin und Israel Rosow gelangen unterdessen durch das unterirdische Kanalisationsnetz zur zentralen Wasserleitung. Es dauert ein bisschen, dann hört man Explosionen in der Stadt. Die Wasser- und Stromversorgung von Wilna ist zusammengebrochen.

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