Im Dezember 1951 bricht der junge Ernesto Guevara mit seinem Freund Alberto Granado zu einer Motorradreise durch Südamerika auf. Nicht ohne Stolz schreibt er aus Kolumbien an seine Mutter: „Ich hielt einen Elfmeter, eine Torwartparade, die in die Geschichte von Leticias eingehen wird.“
Und in Algerien hat es sich der aus ärmlichen Verhältnissen stammende Albert Camus angewöhnt, ausschließlich als Torhüter zu spielen: „Jeden Abend sah die Großmutter die Sohlen seiner Schuhe nach und verabreichte ihm eine gehörige Tracht Prügel, wenn sie wieder einmal zu sehr abgenutzt aussahen.“
Eduardo Galeanos Buch Der Ball ist rund ist eine einzigartige Kulturgeschichte des Fußballs, die von der zunehmenden Kommerzialisierung eines Volkssports erzählt, aber in erster Linie eine große Liebeserklärung an den Fußball ist.
Vorbei sind die Zeiten, als ein Fußballspiel noch zwei bis drei Stunden dauerte und sich die Spieler bei einer Zigarette unterhielten, „wenn der Ball gerade nicht in der Nähe war“. Und noch länger ist es her, als der Graf von Kent in Shakespeares King Lear schimpfte: „Du verachtenswerter Fußballspieler!“
Fußball und Vaterland – Galeano berichtet auch von der Instrumentalisierung des Fußballs durch die Politik: von Real Madrid, der Bilderbuchmannschaft unter Franco, und von Silvio Berlusconi, der den Italienern im Wahlkampf versprach, das Land ebenso zu retten, wie er den AC Mailand gerettet hatte: „Und die Wähler vergaßen, dass einige seiner Unternehmen am Rande des Bankrotts standen.“
Der Fußball ist aber nicht nur das Opium des Volkes. Beim Spielen geht es auch um Würde: Im Jahr 1942 besiegte Dynamo Kiew eine deutsche Mannschaft. Man hatte die Ukrainer zuvor gewarnt: „Wenn ihr gewinnt, kostet es euch den Kopf.“ Die Spieler von Dynamo Kiew hatten ihr Trikot noch am Leib, als sie nach dem Spiel von Deutschen ermordet wurden.
Der Ball ist rund ist eine Hommage an den Fußball – und da nimmt es nicht Wunder, dass auf rund 300 Seiten ein bestimmter Name nur ein einziges Mal fällt: Sepp Blatter, „ein Bürokrat der FIFA, der nie in seinem Leben einen Ball getreten hat, sich jedoch von schwarzen Chauffeuren in acht Meter langen Limousinen herumkutschieren lässt“.
Fest steht für Eduardo Galeano jedenfalls eines: Als Albert Camus sagte, „Alles, was ich über Moral weiß, habe ich vom Fußball gelernt“, sprach Camus nicht vom Profifußball.
In Galeanos virtuosem Stil entfaltet sich eine poetische Kraft, die über ein reines Sachbuch weit hinaus geht. Galeanos Leidenschaft gilt dem Fußball mit all seinen menschlichen Tragödien und Glücksmomenten. Für die Mächtigen – und dies ist von dem Autor des epochalen Geschichtswerkes Die offenen Adern Lateinamerikas nicht anders zu erwarten – bleiben nur bissiger Hohn und Spott.
Liebe Andrea, das ist ein tolles Buch – das ich ganz vergessen hatte, weil ich es verliehen und nicht zurückbekommen habe … Dank deiner Erinnerung werde ich mich in den Regalen der FreundInnen auf die Suche machen. Ich revanchiere mich dafür mit einem Tipp für die Taktik-Interessierten unter deinen LeserInnen: „Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung wechseln kann“ ist eine gut geschriebene Einführung für alle, denen spielverlagerung.de für den Anfang ein bisschen zu freakig ist ;-)
Wie, es gibt Menschen, denen spielverlagerung.de zu freakig ist? :-) “Der Ball ist rund, damit das Spiel die Richtung wechseln kann” ist jetzt auch auf meiner Leseliste. Ich danke Dir ganz herzlich für den Tipp! (Und ich hoffe, dass Dein Galeano wieder auftaucht! Liebe Grüße!
Wow, diese Spielverlagerung ist ja ein beeindruckender Blog! Deinen eigenen Text noch zu lesen freue ich mich auch, liebe Andrea (ich fange gerade, auf der Rückfahrt von B., mit den Fragen an).
Konnichi wa, Andrea.
Die global beliebte Balltreterei dürfte so vielschichtig sein wie die Menschheit selbst. Vom reinen Bolz-Spaß hin zum tödlichen Ernst. Auf dem Rasen (und am Rand) kann sich Fairplay, Mitgefühl tummeln, oder Niedertracht, Schiebung & offensichtlicher Betrug *.
Seit einem Spiel in Gijon (1982) ist der Fußball für mich selbst gestorben. Spätestens aber machiavelistische Strukturen und die grenzenlos arrogante Selbstsicht eines Weltverbandes **, könnten einen zum nachdenken verleiten. Mit Sport, im Sinne einer „ethischen Charakterbildung“, haben all die medial befeuerten Events nichts mehr zu tun.
Immerhin geben zwischenzeitlich viele ihr aufrichtiges „Nein“ zu Protokol, wenn es um Bewerbungen als Austragungsort diverser Wettbewerbe geht; die Privatisierung jeden Gewinns, die Sozialisierung
aller Kosten leuchtet nicht mehr ganz so ein.
Ich bin jetzt hoffentlich nicht ganz off-topic gegangen… :-)
bonté
* ein bestimmter Argentinier spielt Fußball auch gern mal mit der eigenen Hand
** der Fisch stinkt vom Kopf her
Dem kann ich absolut nichts hinzufügen. :-)
Danke für den Artikel. Ich hatte das Buch vor Jahren gelesen und erinnere mich gerne daran. Galeano bietet auch spannende Variationen zum Thema Fußball und Aberglauben (ist da nicht ne Geschichte von einem vergrabenen Frosch drin)
Zum Thema Aberglauben gefiel mir auch die Anekdote mit Deutschlands verlorenem Spiel gegen Brasilien, nachdem die Brasilianer am Vorabend Nadeln in x Millionen Bratwürstchen gestochen hatten. – Schön, dass Du zurück bist, Leo!
Sehr anregend!