Lesen macht dumm, sprach der Rattenfänger und tötete den letzten Moskito

Einst sprach ich mit einem Freund aus Südamerika über den damals gerade erschienenen Fantasy-Roman Deutschland schafft sich ab von Thilo Sarrazin.

„Wie“, fragte mich der Freund erstaunt auf Spanisch, „im Deutschen kann man das Verb ‚abschaffen‘ reflexiv verwenden?“ „Nein“, sagte ich, „das tun nur Deutsche, die von ihren Mitbürgern behaupten, dass sie weder arbeiten noch Deutsch lernen wollen.“ „Cazador de ratas“, sagte der Freund am anderen Ende der Skype-Leitung. „Ja“, sagte ich, „Rattenfänger“.

Wenige Wochen später fiel das Gespräch zu diesem Thema knapper aus. „Immer noch auf den Bestseller-Listen?“, fragte der Freund. „Immer noch auf den Bestseller-Listen“, bestätigte ich.

Dieser Siegeszug eines Buches, ist er nicht eigentlich ein begrüßenswertes Phänomen? Im Rückblick betrachtet schon, denn Lesen ist ja etwas Gutes. Dies nämlich lässt die Stiftung Lesen in ihrer Kampagne Die Macht der Worte via RTL-Prominenz verkünden. „Durch die richtige Formulierung sind manche Menschen prominent geworden“, weiß Frauke Ludowig. Zielgruppengerecht wird im Werbespot mit Janine Steeger beim Slogan Wer liest hat gut reden auch gleich auf das Komma verzichtet.

Dass in Deutschland durch die richtige Formulierung schon so manche fragwürdige Gestalt prominent geworden ist, dürfte bekannt sein. Das neuste Werk des oben erwähnten Fantasy-Autors trägt übrigens den Untertitel Über die Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland. Ja, schlimm, dass man in Deutschland nicht mehr seine Meinung sagen, sondern sie nur noch bei einem renommierten Verlag veröffentlichen darf.

Wer nicht liest, ist häufig klar im Vorteil. Und wer schlechte Bücher liest, nur um mitreden zu können, verschwendet wertvolle Lebenszeit, die er weitaus besser vor dem Fernseher mit dem Dschungelcamp verbringen könnte.

Hier tummeln sich – ebenso wie auf Deutschlands Bestseller-Listen – nicht immer die hellsten Kerzen auf der Torte, dennoch hört man im Dschungelcamp Worte von beispielloser Tiefe, wie etwa: „Ich bin jetzt der letzte Moskito.“ Das ist kreativ, das ist poetisch, das ist intertextuell, da schwingt die gesamte Abenteuerliteratur der westlichen Welt mit. Die wahre Macht der Worte. Man verpasst sie, wenn man liest.

Da wir gerade vom Vorteil des Nicht-Lesens sprechen:

Tweet

Das wird Random House vermutlich egal sein. Aber wenn mich der Freund aus Südamerika wieder einmal nach Neuigkeiten aus Deutschland fragt, werde ich ihm diesen Tweet zeigen. Ach ja, und das hier.

Und damit zurück ins Studio zu Peter Kloeppel.

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33 Kommentare zu „Lesen macht dumm, sprach der Rattenfänger und tötete den letzten Moskito

  1. Muss jetzt doch mal Dschungelcamp gucken, wenn das so sehr bildet :-)
    Ich stell mir gerade den Herrn Sarrazin im Dschungelcamp vor, im Schlammbad umringt von bildungsunwilligen Migranten. Das als Höchsstrafe, nach dem sich sein nächster Fantasyroman nicht mehr verkauft, weil die Leute dann doch lieber die dritte Autobiographie von Boris Becker „lesen“.

    Ein feiner Beitrag von Dir, klasse!

  2. Tja, was soll ich denn da nur machen? Wir haben nur den terrestrischen Fernsehempfang – ganz ohne RTL. Also keine Möglichkeit mich beim Dschungelcamp zu bilden. Muss ich dann etwa doch solche Bücher lesen?
    :-)

  3. Ich finde, alles hat seine Berechtigung. Jeder soll auf ¨seinem Niveau¨ lesen. Rattenfänger gibt es nun mal auf dieser Welt. Dann die, die Seichtes lieben. Und jene, die auf Tiefe schwören. Beides ist schön. :-) Beides gibt etwas – selbst im Dschungel. Und noch viel schöner finde ich, ist die Freiwilligkeit, etwas zu lesen oder nicht. TV zu schauen, oder nicht. Denn was ich mit meiner Lebenszeit anstelle, das ist meine Sache. Hat hier irgendjemand meine Fernbedienung gesehen? ;-) … Und nein, das Dschungelcamp konsumiere ich nicht. Andere mögen es. Das ist Freiheit.

  4. Erfrischend und so wahr !! Nachdem nun die Königin des Dschungels gekrönt wurde, dürfen jetzt wieder die Minderjährigen Hungerknochen an den Start :)
    Danke für diesen tollen Beitrag.

    Liebe Grüße von der Bücherliebhaberin

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