„San s’net tierisch?“ – Hertha Paulis Erinnerungen, featuring Ausbürgerungen, Austrofaschismus und den Engel von Marseille

„Du musst jetzt rasch fort“, sagt Hertha Pauli im Wiener Café Herrendorf zu Walter Mehring. „Und du?“, fragt Mehring. „Bei uns ist es doch etwas anderes anderes. Wir müssen am Sonntag wählen“, entgegnet Hertha Pauli.

Für diesen Sonntag, den 13. März 1938, hat der österreichische Bundeskanzler Schuschnigg eine Volksbefragung angesetzt – für oder gegen ein unabhängiges Österreich. Zu der Volksbefragung wird es nicht mehr kommen. Hitler-Deutschland mobilisiert seine Truppen gegen Österreich. Während die ersten Bomber am Wiener Himmel auftauchen, packt Walter Mehring hastig seine Bücher zusammen, Hertha Pauli und ihr Kollege Carli verstecken die gefährlichsten Manuskripte ihrer Literaturagentur im Garten.

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Rupert Kutzner 2024

Dr. Otto Klenk „hat an sich nichts gegen Fremde“. Er mag halt lieber einheimisches Essen. Klenk denkt nicht daran, „sich auffressen zu lassen von einer fremden Kultur“. Es sind bald „mehr Fremde da als Einheimische“. Da, schon wieder ein Norddeutscher. Er muss eine Statistik einsehen, wie viele Nichtbayern sich hier „eingenistet haben“. Und außerdem ist er für eine „volkstümliche Justizpolitik“.

Rupert Kutzner mit der „höckerigen Nase“ geht nicht mehr seinem erlernten Beruf nach, sondern betätigt sich als Agitator einer rechtsextremen Partei, deren Programm sich mit einigen „romantischen Fragen“ beschäftigt. Zum Beispiel wird einhundertachtziggradwendig darüber spekuliert, ob Juden „den Weltkrieg angezettelt“ hätten: „Alle Dinge werden gut und renken sich ein, sowie man nur die Parasiten ausgeschwefelt“ habe. Kurzum: „Die Kunde von dem beredten Rupert Kutzner, der genial einfache Mittel gefunden hatte, das öffentliche Leben zu säubern und auf gesunde Beine zu stellen“, verbreitet sich.

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„Wer umfällt, ist mein Feind“ – Victoria Wolff: Gast in der Heimat

Eine Kleinstadt in Württemberg: Die protestantische Claudia Dortenbach und der jüdische Helmuth Martell heiraten, bekommen zwei Kinder. Trautes Heim, Glück allein. Protagonistin Claudia ist ganz im Privaten verhaftet, im Alltag der großbürgerlichen Familie. Es sind die letzten Jahre der Weimarer Republik. Die Politik, der Antisemitismus, die Vorboten der nationalsozialistischen Terrorherrschaft finden kaum Erwähnung. Es gibt „die Welt draußen“, in der „nebenher allerlei“ läuft, „wir aber gewahrten nur unseren eigenen Bezirk“.

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Adas Raum: „In Europa wissen wir, was Kunst ist“

Guilherme Fernandes Zarco, ein „schlechtgelaunter, weil vor zwei Jahren in Konkurs gegangener portugiesischer Kaufmann“, betritt im Jahr 1459 westafrikanischen Boden. Er ist mit der São Cristóvão an der so genannten Goldküste gelandet, bei der Siedlung Totope nahe Ada im heutigen Ghana. Der Mann leidet sehr schlimm, die Hitze macht ihm zu schaffen, die Strecke vom Schiff zur Küste musste er schwimmen, seine Haut warnt ihn, doch er „muss“ hier sein, denn er braucht unbedingt Geld. Guilherme, seine europäischen Schiffskameraden sowie Kapitän Gomes (der aus „gesundheitlichen Gründen“ lieber an Bord bleibt) sind auf der Suche nach dem vermögenden Mansa Uli II., dem König von Afrika, denn Afrika ist bekanntlich ein Land.

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#delicious_german_viza

Assaf Alassaf: Abu Jürgen. Mein Leben mit dem deutschen Botschafter

Im Rahmen seiner Kampagne für das deutsche Visum schwört Abu Rita der argentinischen Fußballmannschaft ab, er lässt das Haus der deutschen Botschaft in Beirut bespitzeln, liest Brecht und gibt eine maßgeschneiderte „schwarze Hose aus Pfirsichsamt mit achtzehn Bundfalten“ in Auftrag – was man als Syrer eben so für ein deutsches Visum tut.

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„Die Tauben verstanden das aber nicht.“ – Abbas Khider: Die Orangen des Präsidenten

Als Mahdi neun Jahr alt ist, fällt sein Vater im Ersten Golfkrieg. Seitdem nennt man Mahdi den Märtyrersohn. In der Schule erhält er als Belohnung in allen Fächern zehn Punkte. Seine Mutter, ganz pragmatisch, kauft mit dem Geldgeschenk der irakischen Regierung eine Wohnung und eröffnet einen kleinen Laden – den nennt sie „Märtyrergemüsegeschäft“.

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„Diese Welt ist ein Wald.“ – Ein Chat von der Flucht

Mein Akku ist gleich leer. Chat von einer Flucht. Mikrotext„Das ist keine Reise, das ist ein Roman“, schreibt Faiz. Da ist er schon mehrere Wochen unterwegs. Eine „furchtbare Reise“ sei es, teilt er Julia im Chat mit. Und auch: „Es ist alles ein Abenteuer oder ein Roman.“

In seiner syrischen Heimat war Faiz Medienaktivist. Nun wird er gesucht, „vom Regime und von ISIS“. Seine Flucht führt ihn aus der Türkei durch Mazedonien und Serbien, dann nach Rumänien. Julia ist Faiz‘ virtuelle Reisebegleiterin. Immer wieder fragt sie ihn, wie sie ihm helfen könne. Sie erlebt die einzelnen Etappen seiner Flucht und immer wieder die Rückschläge. Mehrmals wird Faiz von der Polizei aufgegriffen, landet im Gefängnis: „Ich geh einfach zurück nach Syrien. Ich bin ein Pechvogel. Immer werde ich erwischt.“

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